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Von der
Ökonomisierung der Kultur zur Produktion der Widerspiegelung. Anmerkungen
zum Begriff der Kulturindustrie
von Richard
Schwarz
I.
"Da es keine "unschuldige" Lektüre gibt,
wollen wir klären,
welcher Lektüre wir uns zuvor "schuldig" gemacht haben."
LOUIS ALTHUSSER (1972, 12)
Wieviele Eingänge gibt es in das Kulturindustrie-Theorem
von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno? Eine solche Frage mag
denjenigen, die heutzutage eine Art Interpretationsmonopol auf Kritische
Theorie beanspruchen und die vor allem Adorno unter das subsumieren,
was sie selbst "Fetischkritik" nennen, überraschend, wenn nicht
gar irrelevant erscheinen: ist es denn nicht evident, daß das Kulturindustrie-Theorem
einzig und allein die Auflösung von Kultur in Zivilisation zum Gegenstand
hat, oder, um es in einer marxistischeren Sprache auszudrücken,
die endgültige Herrschaft der Warenform über die Kultur und damit
deren Zerstörung? Und ist es deshalb nicht weiterhin evident, daß,
wie vor allem der Fetischismusaufsatz von Adorno und der Über
Jazz zeigen, dieses Theorem in ideengeschichtlicher Hinsicht
nichts anderes darstellt als den massenkulturkritischen Anhang zum
Verdinglichungskapitel in Geschichte und Klassenbewußtsein
und somit das deutsche Gegenstück zur Gesellschaft des Spektakels
von Guy Debord1? Genau diese Evidenzen sind es aber,
die zuallererst in Frage zu stellen sind, wenn die Aktualität oder
Nicht-Aktualität der Massenkulturkritik von Horkheimer und Adorno
angemessen beurteilt werden soll. Sie werden nämlich bei näherer
Betrachtung durch eine Kette von Reduktionen und Ausschließungen
erkauft, die das ursprüngliche Gesamtprojekt Kritischer Theorie
bis zur Unkenntlichkeit entstellen und die, nebenbei bemerkt, jeder
dogmatischen Schließung eigentümlich sind: Kanonisierung einer ursprünglich
experimentellen und unabgeschlossenen Theorie - bzw. Teiltheorie
- zum überzeitlich gültigen Wahrheitsprogramm, Verneinung der Möglichkeit
theorieinterner Brüche zugunsten der Fixierung eines einheitlichen
Sinns durch eine Interpretationsmethode, nach der das Spätere im
Keim immer-schon im Früheren enthalten und nur durch dieses zu verstehen
sei, und schließlich und endlich die Ausblendung derjenigen Theoriekomponenten,
die einfach nicht ins Schema passen wollen - wie die vernunftkritischen
und ideologietheoretischen Komponenten Kritischer Theorie, deren
Irrelevanz für das Kulturindustrie-Theorem offensichtlich einfach
vorausgesetzt wird. Diese kanonische Verzerrung Kritischer Theorie
hat sich allerdings insofern erfolgreich durchgesetzt, als selbst
explizite Kritiken der Fetischkritik wie u. a. Diederichsen (1998)
deren theoretische Konstrukte für eine korrekte Wiedergabe der Themen
und Intentionen Kritischer Theorie halten. Und dies wiederum ist
eigentlich kein Wunder: die zeitgenössische Fetischkritik ist nämlich,
wie radikal gesellschaftskritisch sie sich auch immer gebärden mag,
selber nur die dogmatische Erbin und Vollenderin einer tief in den
Alltagsdiskurs hineinwirkenden und vom common sense für die
Sache selbst gehaltenen Populärfassung Kritischer Theorie, die,
seit den 70er Jahren pädagogisch und politisch in der schulischen
ästhetischen Erziehung und in den linksliberalen Medien ausbuchstabiert,
mit Adorno den Untergang der Hochkultur, die nivellierenden und
zerstörerischen Auswirkungen moderner industrieller Massenkultur
(angelsächsische Popmusik, das Fernsehen, das Internet) und die
falschen Bedürfnisse der Massen beklagt, im Gegensatz zu Adorno
aber nicht mehr von Herrschaft und Ausbeutung reden will (Eingang
A: Kritische Theorie als Veranstaltung der Neuen Mitte).
Jenseits dieser Reduktionen und Fixierungen ermöglicht es die Berufung
auf seinen ursprünglichen - von den Urhebern explizit eingeräumten
- Status als work in progress und "Theorieexperiment"2
indes, das Kulturindustrie-Theorem als ein Rhizom aufzufassen, in
das eine Vielzahl von Einstiegen möglich ist, von denen keiner einen
Vorrang vor dem anderen besitzt, und wo nach der Wahl eines bestimmten
Eingangs nur darauf geachtet werden muß, "wohin er uns führt, über
welche Verzweigungen und durch welche Gänge wir von einem Punkt
zum nächsten gelangen, wie die Karte des Rhizoms aussieht und wie
sie sich ändert, sobald man anderswo einsteigt" (Deleuze/Guattari
1976, 7). So sei zum Beispiel als eine erste Lockerungsübung, die
helfen soll, die Versteinerung zu überwinden, in der die Texte des
Kulturindustrie-Theorems durch die oben beschriebene Kanonisierung
gefangen sind, vorgeschlagen, diese mitsamt der ganzen Dialektik
der Aufklärung als ein worst case-Szenario im Stile der
Dystopien eines Aldous Huxley (Brave New World, 1932), Ray
Bradbury (Fahrenheit 451, 1953) oder Philip K. Dick (Flow
My Tears, The Policeman Said, 1974) zu lesen: als einen
Science Fiction-Roman (Eingang B), der uns von einer künftigen Welt
berichtet, in der monopolistische Konzerne wie Verbrecherbanden
und Verbrecherbanden wie monopolistische Konzerne organisiert sind;
in der übermächtige Manipulations- und Disziplinarapparate massenhaften
Konformismus erzeugen und dadurch die Ohnmacht der Massen; in der
populäre Kultur in Reklame umschlägt und Reklame in Propaganda;
und in der schließlich die Liebe zwischen dem Helden und der Heldin
ohne Zukunft ist, weil die Individuen ein rational kalkulierendes
Verhältnis zum eigenen Geschlecht entwickelt haben. Und wie jede
einigermaßen ernstzunehmende Science Fiction sich nicht in der mehr
oder weniger intuitiven Ahnung des technisch und sozial Kommenden
erschöpft, sondern gleichzeitig immer auch eine Kritik zeitgenössischer
Denk- und Verhaltensweisen darstellt, so werden auch im Kulturindustrie-Theorem
die zeitgenössischen Parteigänger und Gegner populärer Massenkultur
hemmungslos karikiert. Seltsame Figuren treten auf die Bühne, denen
allen samt und sonders etwas Reaktives anhaftet: die von oben her
organisierten Radioamateure (DA, 130); die Enthusiasten, "die Begeisterungsbriefe
an Radiostationen und Kapellen schreiben und auf wohlgelenkten Jazztagungen
ihre eigene Begeisterung vorführen", deren Tanzen aber kein sinnlicher
Ausdruck ist, sondern die Imitation der Gesten Sinnlicher (Adorno
1938, 36); der Hörexperte, "der jede band zu identifizieren vermag
und sich in die Geschichte des Jazz versenkt, als handle es sich
um die Heilsgeschichte" (Adorno 1938, 38); die Bildungsfreunde,
die "die vorkapitalistische Vergangenheit als organische verklären"
(DA, 135); sowie die Provinziellen, "die gegen Kino und Radio zur
ewigen Schönheit und zur Liebhaberbühne greifen" und die "politisch
schon dort [sind], wo die Massenkultur die Ihren erst hintreibt"
(DA, 156). Auch kennt Kritische Theorie genauso wie die Science
Fiction das Mittel der kalkulierten Übertreibung, um auf die möglichen
Folgen gegebener Tendenzen hinweisen zu können: extrapolative Thesen,
die, wenn sie naiv als Beschreibungen eines Ist-Zustandes gelesen
werden, wie Auswüchse einer kritizistischen Überspanntheit wirken
- so wie die in den Oxforder Nachträgen zum Jazzaufsatz erhobene
These, daß Jazz und Pogrom zusammengehörten (Adorno 1937, 101),
oder die in DA, 134 zu findende Vorwegnahme des Simulationstheorems
von Jean Baudrillard, der auch ein großer Science Fiction-Autor
ist.
Ein weiterer Einstieg in das Kulturindustrie-Theorem ist von philosophiegeschichtlichen
Rekonstruktionen Kritischer Theorie schon längst beschritten worden.
Er besteht darin, das Kulturindustrie-Theorem nicht einfach isoliert
vom Gesamtprojekt Kritischer Theorie zu rezipieren, wie dies bisherige
Interpretationen beständig getan haben, sondern es im Gegenteil
als einen integralen Bestandteil des Programms einer "Kritik der
instrumentellen Vernunft" zu verstehen (Eingang C). So stellt für
Rolf Wiggershaus die Kulturindustrie insofern die Vollendung des
okzidentalen Rationalisierungsprozesses dar, als sie diejenige gesellschaftliche
Instanz ist, die noch die letzten Fluchtlinien aus einer durch Entzauberung
und Naturbeherrschung geprägten Welt zu besetzen vermag, indem sie
selbst die Träume und die Wünsche der Menschen dem Realitätsprinzip
unterwirft (Wiggershaus 1986, 376). Und Jürgen Habermas betrachtet
das Kulturindustrie-Theorem nur als eine bloße Variation einer der
ganzen Dialektik der Aufklärung zugrundeliegenden vernunftkritischen
Argumentationsfigur:
"Die
Argumentation folgt also in Ansehung der Wissenschaft, der Moral und
der Kunst derselben Figur: bereits die Trennung der kulturellen Bereiche,
der Zerfall der in Religion und Metaphysik noch verkörperten substantiellen
Vernunft, entmächtigt die isolierten, ihres Zusammenhalts beraubten
Vernunftmomente so sehr, daß diese zur Rationalität im Dienste wildgewordener
Selbsterhaltung regredieren. Vernunft wird in der kulturellen Moderne
endgültig ihres Geltungsanspruchs entkleidet und an schiere Macht
assimiliert." (Habermas 1986, 136f.)
Unter dem Diktat der Zweckrationalität kippen für
Horkheimer und Adorno nicht nur die Wissenschaft in Positivismus
und die universalistische Moral in die universelle Selbstbehauptung
der Individuen um, sondern auch die autonome Kunst in kulturindustrielle
Produktion. Von dieser Regression der Kunst handelt, Habermas zufolge,
das Kulturindustrie-Theorem: "Mit ihrer Analyse der Massenkultur
wollen Horkheimer und Adorno [...] nachweisen, daß die mit Unterhaltung
fusionierte Kunst in ihrer innovativen Kraft gelähmt, von
allen kritischen und utopischen Gehalten entleert werde." (Habermas
1986, 136) Diese Analyse stelle also nur eine Verschärfung der früheren
Kritik an der affirmativen Kultur dar.
Zu kritisieren ist an dieser Rekonstruktion noch nicht einmal so
sehr, daß der Umstand, daß Habermas diese Zerfallsgeschichte der
Vernunft bekanntlich für Unsinn hält - für ein Schauermärchen, das
heutzutage keinen Erwachsenen mehr zu schrecken vermag -, die Art
und Weise seiner Darstellung dieser Geschichte nachhaltig prägt.
Viel folgenreicher jedoch ist die durch das Verfahren der philosophieimmanenten
Systematisierung erzeugte Einengung Kritischer Theorie auf eine
Geschichte zweckrationaler Naturbeherrschung, die, ohne es zu wollen,
jene theoretischen und realgeschichtlichen Kontexte ausblendet,
in denen diese Erzählung entstanden ist und in die sie interveniert
hat. Dieser Kontext wird auch nicht dadurch implizit präsent, indem
man mehr oder weniger verschämt auf Karl Marx als den großen Inspirator
dieses Typs von Vernunftkritik verweist. Denn es genügt nicht, sich
als Maßstab der Beurteilung eine Marxsche Theorie in ihrer vermeintlichen
Reinheit zurechtzukonstruieren und sich dann zu fragen, inwieweit
die Dialektik der Aufklärung eine Überbietung oder einen
Bruch mit diesem Modell darstellt3; man muß sich auf
den Boden des real existiert habenden Marxismus und seiner Krisen
stellen, um sehen zu können, auf welche Weise Kritische Theorie
im allgemeinen und das Kulturindustrie-Theorem im besonderen Produkt
und Antwort auf eine dieser Krisen gewesen ist (Eingang D): auf
jene Krise in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts
angesichts der Erfahrung des europäischen Faschismus und der Niederlagen
der Arbeiterbewegung. Die Antwort auf diese Krise hat dabei nicht,
wie allgemein kolportiert wird, darin bestanden, daß Horkheimer
und Adorno spätestens seit 1933 von der Arbeiterbewegung "enttäuscht"
gewesen seien und jedes Vertrauen in die progressive Dynamik der
Klassenkämpfe verloren hätten, ansonsten aber mehr oder weniger
traditionelle Marxisten geblieben seien (und dies ab 1947 durch
Änderungen in der Terminologie verschleiert hätten) - wie die philosophiegeschichtliche
Rekonstruktion ja schon hinlänglich beweist. Die Antwort bestand
vielmehr in einer Serie von aufeinanderfolgenden Brüchen
mit praktisch allen gegebenen Varianten des Marxismus: Bruch mit
der Analyse des Faschismus als besonders reaktionärer Form der bürgerlichen
Herrschaft (III. Internationale); Bruch mit der marxisierenden Kritik
des Warenfetischs (Lukács und Benjamin); Bruch mit dem Marxismus
anderer Institutsmitglieder (Neumann und Kirchheimer); und schließlich
sogar Bruch mit der marxistischen Terminologie selber4.
Innerhalb dieses durch diese Brüche überhaupt erst möglich gemachten
Analyseprogramms der ökonomischen, ideologischen und politischen
Ursprünge und Elemente faschistischer Herrschaft, das mit der Dialektik
der Aufklärung seine endgültige Ausprägung erhielt, besitzt
das Kulturindustrie-Theorem eine vorwiegend ideologietheoretische
Funktion. "Kulturindustrie" ist dabei eine Chiffre für die folgenden
Befunde: (a) daß faschistische Herrschaft fähig sei, die ideologische
Reproduktion der Gesellschaft zentral von oben her zu organisieren;
(b) daß die Instanz, über die diese Reproduktion organisiert wird,
nicht mehr einer der traditionellen "Überbauten" wie Philosophie,
Moral, Religion oder Kunst sei, sondern der Apparat der Massenkultur;
und (c) daß das Ideologische an der faschistischen Ideologie - als
der zu sich selbst gekommenen instrumentellen Vernunft - nicht mehr
so sehr an spezifischen Inhalten festgemacht werden könne, sondern
an dem, was von Horkheimer als die "gleichsam biologische Präformation
für das von oben gelenkte Kollektiv" (Horkheimer 1942, 56) und was
in der VII. Antisemitismusthese der Dialektik der Aufklärung
1947 als "Ticketdenken" bezeichnet worden ist. Mit anderen Worten
stellt das Kulturindustrie-Theorem für die Analyse der faschistischen
Herrschaft das dar, was Louis Althusser eine "Theorie der spezifischen
Wirksamkeit der Überbauten" (Althusser 1968, 82) genannt haben würde.
Das Paradox des Kulturindustrie-Theorems besteht aber nun darin,
daß es diese spezifische Wirksamkeit des massenkulturellen Apparates
vorrangig am Beispiel der Massenkultur demokratischer Gesellschaften
vordemonstriert hat. Hier stoßen wir wieder auf das, was oben als
sein Science Fiction-Charakter bezeichnet wurde: der unausweichliche
Umschlag von populärer Massenkultur in faschistische Propaganda
wird in ihm in extrapolativer Weise einfach nur behauptet.
Die Analogie zwischen der Entwicklung von Hugenberg zum Dritten
Reich auf der einen Seite und der der amerikanischen Kulturindustrie
zu einer amerikanischen Form des Faschismus auf der anderen Seite
besitzt indes einen Schönheitsfehler: es ist eine anzuerkennende
Leistung der amerikanischen Gesellschaft, daß sie trotz aller unbestreitbar
in ihr existiert habenden faschistischen Tendenzen bis heute eine
demokratische geblieben ist. Dieses Plausibilitätsdefizit ist wohl
der Grund dafür, daß im Mainstream der Rezeptionen von diesem faschismustheoretischen
Bezug des Kulturindustrie-Theorems einfach nicht mehr geredet wird.
Ein ähnliches Defizit scheint aber auch der vernunftkritischen Einbettung
dieses Theorems im Sinne des Eingangs C eigen zu sein. Und in der
Tat zeigt die Verbindung zwischen Jazz und Existentialismus in den
50er Jahren genauso wie in den späten 70ern die Verbindung zwischen
Punk und dem Patchwork der Minderheiten, daß - zumindest, was die
europäischen Gesellschaften betrifft - die "kritischen Gehalte"
und manchmal auch die utopischen lange Zeit ausgerechnet von der
populären Kultur ausgedrückt wurden - wenn auch vorrangig
als "Lebensgefühl" und nicht als explizit "politische" Botschaft.
Da es in diesem Beitrag vorrangig um die Frage geht, ob das Kulturindustrie-Theorem
für die Analyse heutiger demokratischer Massenkultur noch
irgendeinen Wert besitzt, wird im folgenden die vernunftkritische
und faschismustheoretische Metaerzählung ebenso eingeklammert wie
die sie in der Massenkulturkritik der 70er Jahre ersetzende noch
größere Erzählung von dem Vormarsch der Ware in allen menschlichen
Verhältnissen. Oder anders gesagt: diese Metaerzählung wird hier
nur noch als eine epistemologische Tatsache begriffen, die in der
begrifflichen Rekonstruktion des Kulturindustrie-Theorems zwar eine
Rolle spielt, deren Anwendung zumindest auf heutige massenkulturelle
Phänomene aber aus obigen Gründen nicht mehr als plausibel erscheint.
Für die begriffliche Rekonstruktion wurde dabei die Gesamtheit der
Texte des Kulturindustrie-Theorems5 einer doppelten Lektüre
unterworfen: auf einer ersten Leseebene einer "analytisch" zu nennenden
Lektüre, die der einfachen Rekonstruktion der Begriffsarchitektur(en)
des Kulturindustrie-Theorems diente; auf einer zweiten Leseebene
einer Lektüre, die mit Althusser "symptomatisch" genannt werden
kann (Eingang E):
"Die zweite Art der Lektüre [...] ist eine Lektüre,
die wir nicht ohne Bedenken "symptomatisch" nennen wollen; "symptomatisch"
in dem Maße, wie sie in einem einzigen Prozeß das Verborgene in
dem gelesenen Text enthüllt und es auf einen anderen Text bezieht,
der - in notwendiger Abwesenheit - in dem ersten Text präsent ist.
Und genau wie die erste, so setzt auch die zweite Lektüre zwar das
Vorhandensein zweier Texte und das Messen des ersten an dem zweiten
voraus; der Unterschied zwischen der alten und der neuen Lektüre
besteht aber darin, daß sich bei der neuen Lektüre der zweite Text
aus den Lücken des ersten herausbildet." (Althusser 1972, 32)
Im französischen Original heißt es im letzten Teilsatz
genauer: "le second texte s'articule sur les lapsus du premier"
(Althusser et al. 1996, 23). Mit lapsus sind hier nicht etwa,
wie die Etymologie des Wortes nahelegt, einfache Versehen oder Nachlässigkeiten
eines Autors gemeint, die Lücken in seinem Text erzeugen, welche
durch eine analytische Lektüre ohne Gefährdung seiner internen Struktur
einfach "gefüllt" werden könnten, sondern das in einer gegebenen
Theorie strukturell produzierte Abwesende oder, mit einem
anderen Wort, ihr "Nicht-Gewußtes", das wiederum dasjenige ist,
"was sie nicht begreifen und lösen kann. Das Nicht-Gewußte
ist genau das, was sie an Brüchigem in sich trägt, und zwar unter
dem Anschein des am meisten "Evidenten": ein Schweigen im Zusammenhang
ihres Diskurses, gewisse begriffliche Abwesenheiten, blinde Flecken
im strengen Zusammenhang ihrer Argumentation, kurz, alles, was einem
aufmerksamen Hinhören bei aller Fülle "hohl klingt"." (Althusser
1972, 35)
Eine solche Lektüreweise besitzt den methodischen
Vorteil, daß mit ihr nicht nur die blinden Flecken einer gegebenen
Theorie identifiziert werden können, indem untersucht wird, was
sie aufgrund ihrer begrifflichen Organisation nicht zu denken vermag,
sondern daß, weit folgenreicher, mit ihr auch eine mögliche Veränderung
innerhalb dieser Theorie mit dem krisenhaften Einbruch eines von
ihr Nicht-Gewußten in ihre Struktur erklärt werden kann.
Dabei muß diese Veränderung keinen vollständigen epistemologischen
Bruch bedeuten; viel häufiger geschieht es, daß eine Theorie nur
teilweise reorganisiert wird und sie durch eine fragile Koexistenz
zwischen alten und neuen Begriffen bestimmt wird. In diesem Beitrag
sollen drei das Kulturindustrie-Theorem betreffende Verschiebungen
diskutiert werden, die auf Zugzwängen beruhen, die der Einbruch
eines jeweils Nicht-Gewußten in die Theorie erzeugt: Erstens
die Ablösung einer hauptsächlich in Begriffen der Ökonomisierung
der Kultur operierenden Analyse, mit der die in der Auseinandersetzung
mit dem Faschismus immer unübersehbarer werdenden disziplinären
und ideologischen Dimensionen moderner Kulturproduktion nicht mehr
adäquat begriffen werden konnten, durch eine nunmehr hauptsächlich
in Begriffen von Ideologieproduktion und Manipulation argumentierenden.
Als Konsequenz dieser Verschiebung verlor die für die erste Analyse
zentrale Kategorie des Fetischcharakters der Ware ihre Erklärungskraft,
was zu einer fast vollständigen Ersetzung dieser Kategorie durch
den Begriff der "Kulturindustrie" führte (Abschnitte II und III).
Zweitens die offensichtlich unter dem Eindruck des Fernsehens
und anderer Massenmedien erfolgte unmerkliche Verallgemeinerung
des Kulturindustrie-Theorems von einer Kritik populärer Massenkultur
(nebst Architektur und Industriedesign) hin zu einer Kritik der
Massenkommunikation, die in der Dialektik der Aufklärung
zwar schon vor allem in der Analyse des Radios und der faschistischen
Propaganda angelegt war, in der Nachkriegszeit aber zum dominanten
Thema in der Ideologietheorie der Frankfurter Schule wurde, auch
wenn der obligatorische Verweis auf die "Kulturwaren" dort nicht
fehlen durfte. Da die Massenmedien in den 50ern und Anfang der 60er
Jahre als die Quelle des Ticketdenkens und damit als Gefährdung
demokratischer Verhältnisse ausgewiesen wurden, stellte sich auch
hier ein Plausibilitätsdefizit ein, das darin bestand, daß selbst
in der bundesrepublikanischen Gesellschaft eine Refaschisierung
der Verhältnisse nicht stattfand. Dieses Problem wird zumindest
von Adorno (1966, 100; 1973b, 10f.) so "gelöst", daß er die These
einer Wirksamkeit massenmedialer ideologischer Anrufung schlicht
und einfach aufgibt (Abschnitt IV). Drittens besteht das
bis zum Schluß Ungedachte in den auf dem Terrain der Kulturindustrie
ausgetragenen Kämpfen - von der Gründung der amerikanischen
Broadcast Music Inc. (BMI) im Jahre 1941 (die den Einzug
von Blues-, Folk- und Countrymusik in die amerikanischen Rundfunkprogramme
ermöglichte) über die Auseinandersetzungen um den Rock'n'Roll in
den 50ern bis zu den Strategien des Punk in den späten 70er Jahren
(Abschnitt V). Will eine Theorie populärer Kultur diese Kämpfe ernstnehmen,
so steht sie unter dem Zugzwang, über das Kulturindustrie-Theorem
in seiner gegebenen Form hinauszugehen.
II.
"[T]he difference between popular and serious music
can
be grasped in more precise terms than those referring to
musical levels such as "lowbrow and highbrow", "simple
and complex", "naive and sophisticated". [...]
Standardization and non-standardization are the key
contrasting terms for the difference."
THEODOR W. ADORNO und GEORGE SIMPSON (1941, 70f.)
Von ihrer ersten systematischen Annäherung an das
neuartige Phänomen einer industriell produzierten Massenkultur in
Adornos Jazzaufsatz von 1936/37 bis hin zur Ästhetischen Theorie
steht Kritische Theorie, wenn sie dieses Phänomen in ökonomischen
Begriffen zu erklären versucht, unter dem Bann des zu ihrer Zeit
vorherrschenden kapitalistischen Produktionsparadigmas. Die jeweiligen
Einzelanalysen stellen in dieser Hinsicht nur bloße Variationen
einer einzigen These dar: daß die Produktionsweise von Kulturgütern
sich der fordistischen Massenproduktion nahezu restlos angeglichen
habe. Nach Marco Revelli (1997, 2-10) ist diese durch folgende Prinzipien
bestimmt gewesen: 1. Unbegrenztheit der Märkte; 2. bürokratische
Planbarkeit dieser Märkte und damit bis zu einem gewissen Grade
auch der Bedürfnisse; 3. kontinuierliche Produktstandardisierung
zur Senkung der Produktionskosten. Von diesen Voraussetzungen her
sind nicht nur eingängige Schlagwörter der Kritischen Theorie wie
z. B. das von der "verwalteten Welt" oder das von den "falschen
Bedürfnissen" zu verstehen, sondern auch die Kritik an allen Formen
populärer Kultur mit "durchsichtigen industriellen Ursprüngen" (Adorno
1933, 796) wie beispielsweise dem offiziellen Jazz oder, schlimmer
noch, dem Detektivroman,
"mit dem der Jazz gemein hat, daß er eine strenge
Stereotypik unerbittlich durchhält und zugleich alles daransetzt,
sie durch individualisierende Züge vergessen zu lassen, die selber
wieder ausschließend durch die Stereotypik determiniert sind." (Adorno
1937, 77)
Diese ästhetische Kritik an den standardisierten
Produkten industrieller Massenkultur wird dabei konstant von einem
Rekurs auf ihren Warencharakter begleitet, der diese Kritik
gleichzeitig stützt und verdoppelt. Innerhalb dieser Kritikstrategie
stellen die frühen Aufsätze Adornos von 1936/37 und 1938 insofern
eine erste, provisorische Phase dar, als sich Adorno vor allem im
Jazzaufsatz noch darauf beschränkt, eine schlichte Analogie zwischen
massenkultureller Produktion und der Produktion anderer Waren herzustellen,
die er hier noch als eine durch die "planlose" freie Konkurrenz
von Einzelproduzenten bestimmte begreift:
"Die moderne Archaik des Jazz ist nichts anderes
als sein Warencharakter. Die urtümlichen Züge an ihm sind die warenhaften:
die starre, gleichsam zeitlose Unbewegtheit in der Bewegung, die
maskenhafte Stereotypie, das Ineins von wilder Erregtheit als dem
Schein des Dynamischen und Unerbittlichkeit der Instanz, die über
solche Erregtheit herrscht. Vor allem aber das Gesetz, das eines
des Marktes so gut ist wie eines der Mythen: er muß gleichzeitig
stets dasselbe sein und stets das Neue vortäuschen." (Adorno 1937,
84)
Wie die Produktion von Waschmitteln und Autos,
so ist auch die Produktion der "Kulturwaren" für Adorno dadurch
charakterisiert, daß sie ein Immergleiches in stets neuen Verpackungen
zu verkaufen sucht. Der Markterfolg eines beliebigen massenkulturellen
Produkts beruht für ihn daher nicht auf irgendeiner ihm innewohnenden
ästhetischen Qualität, sondern ist Ausdruck der anarchischen Zufälligkeit
des Marktes: "Welcher Schlager Erfolg haben wird und welcher nicht,
das läßt mit apodiktischer Gewißheit so wenig sich voraussagen wie
das Schicksal eines Wertpapieres." (Adorno 1937, 81) Massenkulturelle
Produktion stellt also in der ersten Phase der Ausbildung des Kulturindustrie-Theorems
nichts anderes dar als einen Sonderfall konkurrenzkapitalistischer
Warenproduktion, ihrer Vermarktungsstrategien und der darauf antwortenden
Irrationalität der Konsumenten.6
Daß diese Argumentationslinie bei Anhängern und Gegnern Kritischer
Theorie als der Kerngedanke des Kulturindustrie-Theorems gilt, ist
von einer heutigen Sicht aus als der wohl folgenreichste Effekt
der Adorno-Rezeption des Eingangs A anzusehen. Dies umso mehr, als
selbst der Rekurs Adornos auf den Warencharakter massenkultureller
Produkte in dieser Rezeption nicht unverzerrt wiedergegeben wurde.
Charakteristisch für die kritische Massenkulturkritik der 70er Jahre
war nämlich der Kurzschluß der in der Adornoschen Kritikstrategie
noch getrennt gehaltenen und sich nicht einfach nur gegenseitig
bestätigenden Pole der ästhetischen Kritik und der ökonomischen
Herleitung massenkultureller Produktion, der zu einer Art Generalverdacht
gegenüber allen Erscheinungen populärer Kultur führte: von der Warenförmigkeit
massenkultureller Produktion schloß die Kritik generell auf die
Trivialität der populären Genres und gleichzeitig von der Trivialität
auf ihre Popularität, die wiederum auf die Irrationalität und die
"falschen Bedürfnisse" der Massen zurückgeführt wurde.7
Dieser Spielzug erlaubte und erlaubt teilweise immer noch einem
weiterhin auf die europäische Hochkultur fixierten "kritischen"
Wissenschaftsbetrieb, jegliche Evolution in diesen Genres apodiktisch
zu verneinen, ohne sich groß auf den kritisierten Gegenstand einlassen
zu müssen. Vom Jazz der 30er und 40er Jahre bis hin zum Post-Punk
der 80er Jahre, von der Science Fiction der Pulps bis hin
zu den Werken von J. G. Ballard und William Gibson, von Agatha Christie
bis hin zu Minette Walters, von den Funnies der Tageszeitungen
bis hin zu den Comics von Lewis Trondheim: überall erblickt der
kritische Kritiker ohne Unterschied stets dieselbe "gänzliche Unterwerfung
der Werkgehalte unter Profitinteressen [...], wobei zugleich die
kritischen Potenzen der Werke geschwunden sind zugunsten einer Einübung
von Konsumattitüden (bis hinein in die intimsten zwischenmenschlichen
Beziehungen)" (Bürger 1974, 39).
Diese Beurteilung populärer Kultur ist, wie sehr sie sich auch auf
Horkheimer und Adorno als ihren Meisterdenkern berufen mag, in ihren
dogmatischen und pseudo-empirischen Verfahren8 himmelweit
verschieden von deren eigener Vorgehensweise, die Erfahrungen zu
verarbeiten sucht, die weit über die bloße Lektüre von Klavierauszügen
populärer Schlager hinausgehen, die die vordergründige Argumentationsgrundlage
der Aufsätze von 1936/37 und 1938 bildete.9 Horkheimer
und Adorno müssen sich in ihrer Analyse nämlich auch mit der Existenz
eines Feldes populärer Kultur jenseits der industriellen
Kulturproduktion auseinandersetzen, das sich nicht bloß in der,
wie es in der Dialektik der Aufklärung etwas eigenartig heißt,
"Exzentrizität von Zirkus, Panoptikum und Bordell zur Gesellschaft"
(DA, 144) erschöpft, sondern einen, wenn auch immer nur kurzfristigen
Widerstandspol gegen die genormte Massenkultur bildet, wie
Adorno anhand des Jazz beschreibt:
"Soweit es echte Entwicklungstendenzen im Jazz
gibt, hängen sie eben mit der Konzentrations- und Standardisierungsbewegung,
und dem Willen, ihr sich zu entziehen, zusammen. Jazz, ursprünglich
ein soziales Randphänomen, das vom Lumpenproletariat herkam, ist
vom Betrieb der communication industry mehr und mehr geglättet,
seiner bescheiden chokierenden Züge entäußert und vollkommen aufgesaugt
worden. [...] Swing war zunächst eine von den besten Kapellen ausgehende
Gegenbewegung gegen die Standardisierung und Glättung zugunsten
kühneren und spontaneren Musizierens, wurde aber sogleich vom Betrieb
ergriffen." (Adorno 1950, 72)
Das populare Feld ist genauso wie die traditionelle
Hochkultur das Manipulationsobjekt einer aus sich selbst heraus
nichts erzeugen könnenden Massenkultur, die aus einer artifiziellen
Synthese beider Felder besteht: "Alle Massenkultur ist prinzipiell
Adaptation." (Adorno 1942, 305) Auch wenn Adorno in obiger Stelle
seine Innovationskraft nicht gerade sonderlich hoch einschätzt,
so ist doch generell eine positive Bewertung dieses Feldes seitens
Kritischer Theorie zu verzeichnen. "Niedere Kunst" oder "Unterhaltung",
wie dieses Feld seitens der Autoren genannt wird, enthalte ein "ungebärdiges"
Widerstandsmoment (Adorno 1963, 60) und dürfe auch nicht verfallstheoretisch
gedeutet werden (DA, 143). Sobald sie aber vom massenkulturellen
Betrieb erfaßt werde, verliere sie genau wie die industriell beschlagnahmte
Hochkultur ihre innovativen und subversiven Impulse. Massenkulturelle
Produktion könne also beide Felder ausbeuten, ohne von den ihnen
innewohnenden Kräften affiziert zu werden. Von ihrem Ausgangsmaterial
unberührt, bleibe sie stets die Produktion eines schlechten Immergleichen.
Diese nicht nur vom heutigen Standpunkt aus nicht recht einsehbare
These sucht Adorno in der ersten Phase der Ausbildung des Kulturindustrie-Theorems
durch einen schon von Hans Mayer (1938, 379) monierten Wechsel der
Argumentation von Kategorien der Produktion zu Kategorien der Zirkulation
zu stützen, oder, zugespitzter formuliert, durch eine Ersetzung
von ökonomischen Kategorien durch solche der Sozialpsychologie.
Auch wenn er dies erst in einem etwas späteren Text einräumen wird,
scheint Adorno schon frühzeitig erkannt zu haben, daß eine auf die
Produktionsseite des Phänomens beschränkte Argumentation überhaupt
nicht in der Lage ist, den von ihm unterstellten Standardisierungs-
und Neutralisierungsprozeß in der Massenkultur zu erklären: "It
would not increase the costs of production if the various composers
of hit tunes did not follow certain standard patterns." (Adorno/Simpson
1941, 72) Unter dem Schlagwort der "Regression des Hörens" versucht
sich Adorno deshalb an einer Analyse des Bewußtseins der Konsumenten
massenkultureller Produkte zur Erklärung dieses Prozesses. Dieses
ist für ihn nämlich letztendlich dafür verantwortlich, daß eine
innovative oder gar subversive Popularkunst genausowenig Chancen
auf dem Markt hat wie die Neue Musik.
"Es gibt tatsächlich einen neurotischen Mechanismus
der Dummheit auch im Hören: die hochmütig ignorante Ablehnung alles
Ungewohnten ist sein sicheres Kennzeichen. Die regredierten Hörer
benehmen sich wie Kinder. Sie verlangen immer wieder und mit hartnäckiger
Tücke nach der einen Speise, die man ihnen einmal vorgesetzt hat."
(Adorno 1938, 34)
Die hier verwendete Wortwahl ist nicht zufällig.
Wer sich wie ein Kind benimmt, ist unmündig im Sinne der Aufklärung.
Die regredierten Hörer sind in ästhetischer Hinsicht unmündig, und
diese Unmündigkeit ist - trotz des sie befördernden Reklameterrors
des massenkulturellen Distributionsapparates (Adorno 1938, 30f.)
- eine für Adorno in Anlehnung an Immanuel Kant selbstverschuldete,
insofern dem Terror des Apparats keinerlei Widerstand seitens der
Hörer entgegengesetzt wird. Im Gegenteil
"offenbaren [sie], wann immer es ihnen erlaubt
wird, den verkniffenen Haß dessen, der eigentlich das andere ahnt,
aber es fortschiebt, um ungeschoren leben zu können, und der darum
am liebsten die mahnende Möglichkeit ausrotten möchte. Es ist diese
präsente Möglichkeit oder, konkreter gesprochen, die Möglichkeit
einer anderen und oppositionellen Musik, vor der eigentlich regrediert
wird." (Adorno 1938, 29)
Zusammengenommen ergibt die Verschiebung der Argumentation
auf die Analyse des regressiven Hörens ein auf den ersten Blick
plausibles Modell einer negativen Wechselwirkung zwischen Produktion,
Distribution und Hörerbewußtsein, die jede potentielle Abweichung
von der Norm von vornherein unmöglich macht: die Vermarktungsstrategien
der Produzenten bestimmen die regressive Nachfrage und die regressive
Nachfrage bestimmt rückwirkend wiederum die Produktion. Dieses Modell
wird aber sofort unplausibel, wenn die These von der Allmächtigkeit
der Reklame methodisch bezweifelt10 und die Konsumtion
auch anders und möglicherweise viel weniger grobschlächtig beschrieben
werden kann als in Begriffen eines immergleichen Verlangens nach
einer "Art musikalischer Kindersprache" (Adorno 1938, 34). So könnte
eine Theorie der Konsumtion postuliert werden, die in völligem Gegensatz
dazu von einer durch Reklame nicht vollständig kontrollierbaren
Differenzierung der Bedürfnisse ausgeht und die Nachfrage
zum zentralen Faktor einer von Adorno beständig verneinten Evolution
in den massenkulturellen Genres macht. In seiner Auseinandersetzung
mit Adorno hat Hans Mayer mittels einer solchen Theorie der "Progression
des Hörens" dessen Kreislaufmodell von Produktion und Regression
scharf kritisiert:
"Es stimmt nämlich nicht, daß es sich bei allen
Schlagern stets nur um die "ewige Wiederkehr des Gleichen" handelt,
wie Adorno das behauptet. Schaut man genau hin, so zeichnen sich
die wirklichen Weltschlager von den vielen gleichartigen Weisen
stets durch irgendeine Besonderheit aus, wenn man will, durch eine
Nüance in der allgemeinen Minderwertigkeit: es mag sich hier um
einen Trugschluß, da um eine geschickte rhythmische Verrückung,
dort um eine innerhalb der allgemeinen harmonischen Öde erstaunlich
wirkende Modulation handeln. Der Nachweis könnte im einzelnen erbracht
werden: man könnte gewisse Riesenerfolge des von Adorno so verächtlich
abgetanen Irving Berlin neben die zahllosen Produkte von Konkurrenzunternehmen
stellen und im einzelnen die größere "veine", die Hand eines (relativ)
einfallsreichen Musikers erkennen. Ähnlich steht es mit anderen
Namen, die gerade nicht durch den äußersten Konformismus,
sondern durch ein gewisses Emporragen dank technisch musikalischer
Schulung zum Erfolg gelangen." (Mayer 1938, 381)
Die Nachfrage ist damit eine nach innovativeren
Produkten als den bis dahin dagewesenen. "Es ist also nicht die
restlose Dagewesenheit, die wirkt und gewünscht wird, sondern ihre
(vorsichtige) Durchbrechung." (Mayer 1938, 382) Diesem prinzipiellen
Einwand wird Adorno etwas später mit dem Argument zu begegnen suchen,
daß der hier beschriebene Prozeß zwar stattgefunden habe, aber eine
spezifische Bewegungsform der konkurrenzkapitalistischen Periode
gewesen sei, die im Zeitalter der Kartellierung der Branche stillgestellt
sei zugunsten einer Stereotypisierung der ehemals erfolgreichsten
Modelle:
"The musical standards of popular music were originally
developed by a competitive process. As one particular song scored
a great success, hundreds of others sprang up imitating the successful
one. The most successful hits, types and "ratios" between elements
were imitated, and the process culminated in the crystallization
of standards. Under centralized conditions such as exist today these
standards have become "frozen". That is, they have been taken over
by cartelized agencies, the final results of a competitive process,
and rigidly enforced upon material to be promoted. Non-compliance
with the rules of the game became the basis for exclusion. [...]
Large-scale economic concentration institutionalized the standardization,
and made it imperative. As a result, innovations by rugged individualists
have been outlawed." (Adorno/Simpson 1941, 72)
Obwohl Adorno vier Jahre nach dem Jazzaufsatz und
im völligen Gegensatz zu dessen Annahmen durch die Historisierung
seines Gegenstandes eine gewisse, wenn auch nur in der Vergangenheit
stattgefunden habende Innovationsdynamik auch auf dem Felde industriell
produzierter Massenkultur einräumen muß, so gestattet ihm dieselbe
Historisierung jedoch gleichzeitig, sein Kreislaufmodell weiterhin
aufrechtzuerhalten, das die Möglichkeit einer Differenzierung der
Konsumentenbedürfnisse über das gegebene Angebot hinaus jetzt allerdings
mit einem Verweis auf die veränderten ökonomischen Bedingungen verneint.
Die Bedürfnisse erscheinen ihm und Horkheimer unter den Bedingungen
industrieller Großkonzentration im Gegensatz zu früheren Zeiten
auch in ihrer Differenzierung als nunmehr vollständig planbar: "Für
alle ist etwas vorgesehen, damit keiner ausweichen kann, die Unterschiede
werden eingeschliffen und propagiert." (DA, 131) Stellt dies möglicherweise
schon ein Defizit hinsichtlich der Beschreibung der fordistischen
Produktion dar, so wachsen die Probleme ins Unendliche, wenn mit
diesem Analyserahmen das zeitgenössische "postfordistische" Produktionsparadigma
erfaßt werden soll, in dem aufgrund einer verschärften Konkurrenz
um nicht mehr endlos wachsende Märkte das Verhältnis zwischen Produktion
und Konsumtion endgültig nicht mehr in Begriffen einer Planbarkeit
der Märkte und der Bedürfnisse seitens der Produktion analysiert
werden kann: "Für das komplexe System "Produktion-Konsumtion" wird
jetzt der Markt zur unabhängigen Variablen, der mit seinen plötzlichen
Veränderungen, schnellen Aufschwüngen und unvorsehbaren Einbrüchen
die gesamte Handlungskette, die den Produktionsprozeß vorbereitet
und begleitet, unter sein Kommando bringt. Der Produktionsprozeß
hört auf, ein "selbst-referentielles" System zu sein, das zu autonomen
Entscheidungen fähig ist und seiner eigenen exklusiven Rationalität
folgen kann, und muß sich nun an externen Rationalitäten messen,
die mit der rigiden Programmierung eines produktiven "Plans" nur
noch schlecht zu vereinbaren sind." (Revelli 1997, 15f.) Wenn nämlich
auf diese Weise die Gesellschaft "mit ihren unplanbaren Präferenzen"
(Revelli 1997, 16) die Produktion zu strukturieren vermag und wenn
außerdem zu diesen Präferenzen, wie Maurizio Lazzarato behauptet,
Bedürfnisse wie der "Wissensbedarf", die "Liebe zum Schönen" und
die "Gier nach dem Exquisiten" gehören (Lazzarato 1999, 170), so
können die daraus resultierenden Effekte auf die massenkulturelle
Produktion wohl nicht mehr adäquat mit der gegebenen Begriffsmaschinerie
von Standardisierung, "Reklameterror" und Regression beschrieben
werden. Geschieht dies heutzutage dennoch, so ist dahinter das genaue
Gegenteil der Anstrengungen Kritischer Theorie zu vermuten, das
für sie völlig neuartige Phänomen einer industriellen Kultur für
industrielle Menschen mit Hilfe dieser Begriffe immer neu zu umkreisen,
um es in seiner ganzen Komplexität verstehen zu können: ein solches
Vorgehen ist nämlich dann in der Regel durch eine bloße Verdachtsstrategie
motiviert.
III.
"Denn es gibt kein Problem dieser Entwicklungsstufe
der
Menschheit, [...] dessen Lösung nicht in der Lösung des
Rätsels der Warenstruktur gesucht werden müßte."
GEORG LUKÁCS (1923, 257)
Um das Verhältnis zwischen Produktion und Konsumentenbedürfnissen
als ein regressives wie auch den Widerspruch zwischen den vorhandenen
technischen Möglichkeiten und der tatsächlichen Produktion als einen
in der industriellen Massenkultur stillgestellten beschreiben
zu können, entlehnt Adorno in der ersten Phase der Ausbildung des
Kulturindustrie-Theorems aus einer gewissen verdinglichungstheoretischen
Tradition innerhalb des Marxismus die Kategorie des "Fetischcharakters
der Ware". Die schillernde Geschichte dieser Kategorie in der weiteren
Entwicklung der Kritischen Theorie, die im folgenden nur angedeutet
werden kann, ist die einer lebenslangen Faszination, die Adorno
ihr entgegengebracht hat. Daß er erst in seiner prinzipiellen Methodenreflexion
von 1966 fähig gewesen ist, sich der Suggestionskraft dieser Kategorie
zu entziehen, die ihr die Interpretation von Lukács (1923) verliehen
hat, liegt vor allem in dem Umstand begründet, daß Adorno sie lange
Zeit als ein Werkzeug betrachtet hat, das ihm methodologisch erlaubte,
von der Tatsache der kapitalistischen Warenproduktion unmittelbar
auf die ideologischen Formen, in denen die Menschen alltäglich ihre
wirklichen Lebensbedingungen gleichzeitig erkennen und verkennen,
schließen zu können, wie folgende Stelle aus einem Brief an Walter
Benjamin vom August 1935 zeigt: "Der Fetischcharakter der Ware ist
keine Tatsache des Bewußtseins sondern dialektisch in dem eminenten
Sinne, daß er Bewußtsein produziert." (Adorno/Benjamin 1994, 139)
Gilt diese Kategorie aber in Adornos Fetischismusaufsatz noch als
ein Universalschlüssel - und folglich der Kritik an Adorno als "Prokrustesbett"
(Mayer 1938, 379) -, so weicht diese für den Institutsmainstream
dieser Jahre sowieso nie zentrale Kategorie auch in Adornos eigener
Theorieentwicklung nach und nach der Detailanalyse der Mechanismen
der Herrschaft und der spezifischen Wirksamkeit der Überbauten in
den demokratischen als auch den faschistischen Gesellschaften, bis
1966 der Punkt erreicht ist, an dem diese Kategorie wieder auf ihren
ursprünglichen Marxschen Bedeutungskern einer im kapitalistischen
Tauschprozeß notwendig auftretenden eigentümlichen Mystifikation
zurückgeschraubt worden ist (Adorno 1966, 190): das gesellschaftliche
Verhältnis zwischen den am Tauschprozeß Beteiligten erscheint diesen
als ein Verhältnis von Dingen. Diese "phantasmagorische Form" (Marx
1962, 86) stellt das notwendig falsche Bewußtsein einer Produktionsweise
dar, die die gesellschaftliche Gesamtarbeit in der Gestalt von unabhängig
voneinander betriebenen Privatarbeiten organisiert, die auf dem
Markt ausgetauscht werden. Ihre alltägliche Tauschpraxis führt die
Produzenten dazu, den Tauschwert für eine natürliche Eigenschaft
der ausgetauschten Dinge zu halten:
"Was die Produktenaustauscher zunächst praktisch
interessiert, ist die Frage, wieviel fremde Produkte sie für das
eigne Produkt erhalten, in welchen Proportionen sich also die Produkte
austauschen. Sobald diese Proportionen zu einer gewissen gewohnheitsmäßigen
Festigkeit herangereift sind, scheinen sie aus der Natur der Arbeitsprodukte
zu entspringen, so daß z. B. eine Tonne Eisen und 2 Unzen Gold gleichwertig,
wie ein Pfund Gold und ein Pfund Eisen trotz ihrer verschiednen
physikalischen und chemischen Eigenschaften gleich schwer sind."
(Marx 1962, 89)
Was in Wirklichkeit Ausdruck der in der Produktion
eines Gegenstandes verausgabten menschlichen Arbeit ist, wird wie
sein Gewicht oder seine Farbe für eine ihm innewohnende Qualität
gehalten. An diesem Punkt setzen 1938 Adornos Reflexionen über den
"Fetischcharakter in der Musik" an, indem sie, Marx radikalisierend,
die Fetischkategorie über die Tauschpraxis hinaus auch auf die Konsumtion
ausdehnen. Der Tauschwert, und nicht mehr der Gebrauchswert einer
Ware, werde zum Gegenstand des Genusses: "Die Frau, die Geld zum
Einkaufen hat, berauscht sich am Akt des Einkaufens" (Adorno 1938,
20); und der Konzertbesucher bete "recht eigentlich [...] das Geld
an, das er selber für die Karte zum Toscaninikonzert ausgegeben
hat" (Adorno 1938, 19). Für sich allein betrachtet, scheint diese
Ausdehnung der Fetischkategorie für eine Theorie der Produktion
und Rezeption industriell produzierter Massenkultur recht wenig
zu erbringen. Die zitierten Stellen lesen sich nämlich auf den ersten
Blick so, als ob Adorno hier seiner Sammlung von reaktiven Verhaltenstypen
einfach nur zwei weitere komische Figuren hinzufügen wolle, die
die Irrationalität des Konsumentenbewußtseins verkörperten. Die
Kritik Adornos an den Konsumenten wirkt dabei wie eine Art Blaupause
für die heutigen Versuche gewisser Ideologen der Neuen Mitte, die
offenbar gegen ihre eigene Vernunft handelnden Massen zu Subjekten
einer rationalen Ökonomie erziehen zu wollen. Und in der Tat hätte
es Adorno sehr erstaunt, zu hören, daß knapp 40 Jahre später ein
anderer Science Fiction-Autor eben dieses vermeintlich unvernünftige
Handeln der Massen als einen Widerstandsakt gegen erzieherische
Zumutungen des obigen Typs und gegen die Nützlichkeitsimperative
der Ökonomie interpretieren wird:
"Zu ihrem größten Erstaunen haben die Ökonomen
den Konsum trotz ihrer mit Ernst betriebenen "Theorie der Bedürfnisse"
und trotz des allgemeinen Konsensus über den Diskurs der Nützlichkeit
nie rationalisieren können. Die Praxis der Massen hatte nämlich
schon sehr bald nichts mehr mit den Bedürfnissen zu tun (und hat
vielleicht nie etwas mit ihnen zu tun gehabt). Sie haben den Konsum
in eine andere Dimension gehoben, die Dimension von Status und Prestige,
der unnützen Überbietung oder der Simulation, in die Dimension des
Potlatch, die sowieso über den Gebrauchswert hinausgeht. Natürlich
versucht man, ihnen von allen Seiten (durch offizielle Propaganda,
Verbrauchervereinigungen, Ökologen und Soziologen) die vorteilhafte
Nutzung und die funktionelle Berechnung in Sachen Konsum einzuschärfen,
aber es ist hoffnungslos. Denn der Widerstand der Massen läuft über
den Wert als Zeichen und den zügellosen Einsatz des Werts/Zeichens
[...], durch ihn widerstehen sie dem "objektiven" Imperativ der
Bedürfnisse und dem rationalen Gleichgewicht der Verhaltensweisen
und der Ziele." (Baudrillard 1979, 38f.)
Mit der Kategorie des Fetischcharakters der Ware
möchte Adorno jedoch mehr erreichen als eine bloße Verschärfung
seiner rationalistischen Kritik an der Unmündigkeit der Konsumenten
moderner Massenkultur. Über die These von der Verdrängung des "Gebrauchswerts"
kultureller Produkte (d. h. ihres Werkgehalts) durch ihren Tauschwert
soll nämlich die viel weiterreichendere These begründet werden,
daß nicht nur die innovativen und subversiven Impulse des popularen
Kulturfeldes, sondern auch und gerade die der Produkte der Hochkultur
im Zuge ihrer kapitalistischen Verwertung vollständig neutralisiert
worden seien. Die Konsumtion des Tauschwerts dieser Produkte, oder,
um es in einer klareren Sprache als in der der marxisierenden Terminologie
Adornos auszudrücken, die ihres Prestigewerts11
führe zur Indifferenz gegenüber den in den einzelnen Kunstwerken
aufgespeicherten Erfahrungspotentialen: "Die Werke, die der Fetischisierung
unterliegen und zu Kulturgütern werden, erfahren dadurch konstitutive
Veränderungen. Sie werden depraviert. Der beziehungslose Konsum
läßt sie zerfallen." (Adorno 1938, 22) Fetischisiert werde dabei
auf der Seite der Konsumtion - und in Reaktion darauf auch auf der
Seite der Produktion - der Erfolg derjenigen Produkte, den die Konsumenten
durch ihre eigene regressive Praxis erst möglich gemacht hätten.
Dieses allgemeine Verhältnis der Konsumenten zu den Kunstwerken
führt, dem Dialektiker zufolge, zu zwei einander völlig entgegengesetzten
Effekten. Einerseits natürlich zur Fetischisierung der "best sellers"
und damit zum Kultus des "Einfalls", des Stars und des Instruments,
deren unausweichliche Folge die Potpourrisierung des klassischen
Erbes und seine Angleichung an die musikalische Kindersprache der
Schlager und des offiziellen Jazz sei (Adorno 1938, 16-25). Aber
auch die Gegenreaktion darauf sei geprägt von Fetischisierung: das
"offizielle Aufführungsideal" fetischisiere seinerseits nämlich
im Namen der Werktreue die eiserne Disziplin des Orchesterapparates
und den Dirigenten als Führerfigur und nähere damit die traditionelle
Hochkultur virtuell der faschistischen Disziplin an (Adorno 1938,
26f.). In der Praxis der Konsumenten herrsche die Zerstreuung, in
der des offiziellen Kulturbetriebs das Kommando: in beiden werde
die traditionelle Hochkultur als Widerstandspol gegen die herrschende
Übung liquidiert.
Hatte sich Adorno in seiner Kontroverse mit Hans Mayer noch 1939
dazu gratuliert, mit dieser Kritik des musikalischen Fetischismus
eine Art Prolegomena zu einer wahrhaft marxistischen Musiktheorie
geschrieben zu haben12, so beurteilt er knapp ein Jahr
später den Fetischismusaufsatz in einem Brief an Walter Benjamin
schon wesentlich selbstkritischer. Der Aufsatz lege "das Mißverständnis
des Kulturrettenden" nahe und sei "als Konstruktion nicht ganz gelungen"
(Adorno/Benjamin 1994, 416). Das Problem liegt aber nicht, wie Adorno
hier noch glaubt, einfach nur darin, daß der Aufsatz aufgrund von
Konstruktionsfehlern in unzusammenhängende Einzelteile zerfalle;
es liegt, wie schon Hans Mayer bemerkt hat, darin, daß die Phänomene,
die in ihm als Effekte des Warenfetischismus in der Musik ausgewiesen
werden, jeweils auch mit ganz anderen Begriffen und dann vielleicht
sogar viel genauer beschrieben werden können als mit den pseudoökonomischen
Kategorien Adornos. "Die gewählten Kategorien erscheinen [...] unangemessen:
der konkrete Prozeß läßt sich weit besser ohne ihre Hilfe deuten,
selbst wenn man ihn genau so sieht und bewertet wie Adorno." (Mayer
1938, 379) So kann der Kultus des "Einfalls", in dessen Gefolge
Melodiendetektive nach musikalischen "Diebstählen" fahnden (Adorno
1938, 17), auch als Reflex der Ausweitung des zuerst in der Massenkultur
etablierten Konzepts des "intellektuellen Eigentums" auf die Sphäre
der traditionellen Hochkultur gedeutet werden. Auch ist der Zerfall
der klassischen Werke im beziehungslosen Konsum keine sichere Evidenz
für die Existenz eines Warenfetischismus in der Musik. Er kann genausogut
als Indiz dafür dienen, daß diese Werke auf keine andere Weise mehr
konsumiert werden können, eben weil sie klassisch sind. Durch
seine Eingliederung in das Pantheon der Kulturdenkmäler wird ein
beliebiges Kunstwerk nämlich in einem solchen Maße dekontextualisiert
und von seinen konkreten Bedeutungen entleert, daß ein unmittelbarer
Zugang zu ihm nicht mehr gegeben ist. Potpourrisierung oder sterile
Werktreue sind in dieser der Sprach- und Ideologietheorie V. N.
Vološinovs entlehnten Perspektive keine Effekte eines Fetischismus
auf Seiten der Konsumenten, sondern Effekte einer Neutralisierung
der diesem Werk innewohnenden Kräfte, die die notwendige Folge seiner
Kanonisierung ist: "Ein Zeichen, das aus der Spannung des
sozialen Kampfes ausgesondert wird [...], muß notwendigerweise verkümmern,
zur Allegorie degenerieren und zum Objekt nicht eines lebendigen
Verständnisses, sondern der Philologie werden." (Vološinov 1975,
72) Diese Erklärungsalternative zum Warenfetischismus liegt im übrigen
auch deshalb nahe, weil ähnliche Beobachtungen auch im Fetischismusaufsatz
und in der Dialektik der Aufklärung gefunden werden können.13
Im Gegensatz zu Vološinov scheint Adorno aber niemals bereit gewesen
zu sein, aus diesen Beobachtungen die entsprechenden radikalen Konsequenzen
zu ziehen. Denkt man die These von der Erstarrung der Kunstwerke
zu Klassikern nämlich zu Ende, so muß konsequenterweise davon ausgegangen
werden, daß ein solcherart tradiertes Kunstwerk nur dann wieder
soziale Kraft erlangt, wenn es aus dem Kanon herausgebrochen
und neuen sozialen Kontexten zugeführt wird, in denen es seine neutralisierten
Potentiale entweder wieder entfalten kann oder mit neuen Bedeutungen
ausgestattet wird.14 Adorno scheint dagegen zu glauben,
daß der Zerstörung der Hochkultur insgesamt noch Einhalt geboten
werden könnte, wenn nur die Konsumenten zu jener anderen Art von
Umgang mit den Werken finden würden, die auch sein eigenes Verhältnis
zur Kunst bestimmt: "die Fähigkeit zur bewußten Erkenntnis von Musik"
(Adorno 1938, 28). Wenn aber Adorno beispielsweise in der Musik
Mozarts eine "schmerzhafte Süße" der Versöhnung zu erkennen vermeint,
die deswegen schmerze, "weil die Realität sie bis heute verweigerte"
(Adorno 1973a, 264), so handelt es sich dabei nicht mehr um eine
noch lebendige Bedeutungsdimension dieser Musik, sondern um eine
rein intellektualistisch rekonstruierte. Eine Kritische Theorie
der Kunst hätte aber zuallererst jene sozialen Konstellationen anzugeben,
in denen der von Adorno allen hochkulturellen Kunstwerken a priori
unterstellte "polemische" Charakter gegenüber der schlechten gesellschaftlichen
Realität mehr wäre als eine esoterische individuelle Erfahrung oder
eine ohnmächtige Erinnerung an Zeiten, in denen eine solche Kunst
noch möglich war.
Schwerwiegender als die bisher diskutierten Punkte ist aber, daß
der Fetischismusaufsatz selber Kategorien enthält, die ebenfalls
Erklärungsalternativen zum Warenfetischismus darstellen. Im Gegensatz
zu Marx - und hierin liegt der wirkliche Konstruktionsfehler des
Aufsatzes - begreift Adorno den Warenfetischismus nicht als ein
aus der Alltagspraxis der Individuen quasi naturwüchsig entstehendes
Verhältnis. Im Gegenteil: "Die affektive Besetzung des Tauschwerts
ist keine mystische Transsubstantiation. Sie entspricht der Verhaltensweise
des Gefangenen, der seine Zelle liebt, weil nichts anderes zu lieben
ihm gelassen wird." (Adorno 1938, 21) Ob der dahinterliegende Zwang
nun als "Kommando der Verleger, Tonfilmmagnaten und Rundfunkherrn"
(Adorno 1938, 16), als Terror der Reklame oder als Effekt der Kanonisierung
begriffen wird - in allen Fällen erweist sich die als universelles
Erklärungsprinzip eingeführte Kategorie des Warenfetischismus als
ein seinerseits durch andere Begriffe erst zu erklärender Sachverhalt.
Auch konkurriert sie in Adornos Ansatz strukturell mit dem sozialpsychologischen
Konzept der Regression des Hörens, ohne daß sie fähig wäre, die
von diesem Konzept beschriebenen Phänomene in ein prinzipiell neues
Licht zu tauchen. Sie ist damit ein Kandidat für Ockhams Rasiermesser.
Diese etwas verfahrene begriffliche Situation kann auch nicht durch
das Argument aufgelöst werden, daß es in erster Linie die Standardisierung
der kulturellen Produktion selbst (und nicht der Terrorismus der
Distribution) sei, die das fetischistische Verhalten der Konsumenten
erzwinge, insofern die Produktion des Immergleichen Waren ohne wirklichen
Gebrauchswert erzeuge (Adorno 1938, 20, 21). Denn auch in dieser
Interpretationsvariante des Fetischismusaufsatzes bleibt der Warenfetischismus
eine abgeleitete Kategorie, die für sich genommen keinerlei
Erklärungskraft besitzt.
Wenn auch abgeleitet und, rein analytisch betrachtet, eigentlich
überflüssig, hat die Kategorie des Warenfetischs eine entscheidende
Rolle in der Begriffsarchitektur von 1938 gespielt: sie hat nämlich
aufgrund ihres inflationären und rein assoziativen Gebrauchs erfolgreich
die Tatsache verdecken können, daß Adorno im Fetischismusaufsatz
zwei völlig entgegengesetzte Erklärungsstränge gewaltsam zusammengezwängt
hat. Der erste Erklärungsstrang, dem wir in diesem Abschnitt
bis jetzt gefolgt sind, erklärt den konstatierten kulturellen Verfall
mit dem irrationalen Verhalten und der ästhetischen Unmündigkeit
der Konsumenten, die, wenn auch mit Einschränkungen, noch als "freie"
Marktsubjekte konzipiert sind. Der zweite Erklärungsstrang umreißt
dagegen die Konturen eines kulturellen Übermächtigungsapparates;
das Verhältnis zu den Konsumenten ist hierbei nicht mehr ein indirektes,
über den Markt vermitteltes, sondern ein direktes Herrschaftsverhältnis.
Wenngleich der zweite Strang im Fetischismusaufsatz nur in Form
zusammenhangloser Einzelbeobachtungen vorliegt, deren Systematisierung
durch den förmlich reflexhaften Bezug der Phänomene (Ohnmacht der
Individuen gegenüber dem massenkulturellen Apparat, Kanonisierung,
"manipulierter Geschmack" (Adorno 1938, 21)) auf die Kategorie des
Warenfetischs verhindert wurde, stellen diese Einzelbeobachtungen
die ersten Risse im Theoriegefüge der ersten Phase des Kulturindustrie-Theorems
dar, die sich innerhalb kürzester Zeit zu einem vollständigen Bruch
mit dem diese Phase kennzeichnenden ökonomistischen Reduktionismus
ausweiten werden. Der Wechsel von einer in Begriffen einer Ökonomisierung
der Kultur argumentierenden Analyse zu einer Theorie der "subsumption
of culture (and social relations) under the totalitarian figure
of the state" (Hardt/Negri 2000, 25) ist dabei von drei Faktoren
begünstigt worden. An erster Stelle ist dabei die Verschiebung des
Interesses zu denjenigen "Endformen" der Massenkultur zu nennen,
in denen nach Ansicht der Kritischen Theorie die analysierten Gleichschaltungs-
und Neutralisierungsprozesse der Massenkultur gleichsam ihren point
of no return erreicht hatten, d. h. die Verschiebung des Interesses
auf die Formen faschistischer und staatssozialistischer Massenkultur
und Propaganda, die als staatlich gesteuerte Institutionen nicht
mehr mit Mitteln der von Adorno bis dahin verwendeten marxisierenden
Terminologie beschrieben werden konnten. Die Ende der 30er Jahre
begonnene und 1944 in systematisierter Form vorgelegte Auseinandersetzung
mit der zu jener Zeit fortgeschrittensten Form der Massenkultur
- dem Radio - machte weiterhin die Inadäquatheit des bisherigen
Modells auch für die Beschreibung der Massenkultur der demokratisch-kapitalistischen
Gesellschaften sichtbar: die einzige ökonomische Dimension der über
das Radio ausgestrahlten massenkulturellen Erzeugnisse, die Horkheimer
und Adorno noch feststellen können, ist ihre Reklamefunktion
- beispielsweise für Produkte der Unterhaltungselektronik, aber
auch für Autos, Seife und Chesterfield-Zigaretten (DA, 168). An
diesem Punkt gerät die ökonomistische Ableitungsmaschinerie von
Produktion und Distribution, Angebot und Nachfrage, Tauschwert und
Gebrauchswert ins Stocken: "Kultur ist eine paradoxe Ware. Sie steht
so völlig unterm Tauschgesetz, daß sie nicht mehr getauscht wird;
sie geht so blind im Gebrauch auf, daß man sie nicht mehr gebrauchen
kann." (DA, 170) Trifft dies zu, so erweist sich nicht nur die Verwendung
von Begriffen wie Tauschwert und Gebrauchswert als im Grunde sinnlos;
es stellt sich weiterhin die Frage, worin denn eigentlich noch die
Warenhaftigkeit der kulturellen Produktion bestehen soll - insbesondere
dann, wenn gleichzeitig postuliert wird, daß auch in den demokratischen
Gesellschaften Kultur/Reklame und politische Propaganda tendenziell
ununterscheidbar würden (DA, 168f.). Ein weiterer Aspekt moderner
Massenkultur, der mit dem gegebenen ökonomistischen Ansatz ebenfalls
nicht erfaßt werden konnte, ist schließlich ihre Disziplinarfunktion,
die Adorno schon in der ersten Phase des Kulturindustrie-Theorems
anhand des Jazz (Adorno 1937, 95ff.) beschrieben hatte.
Das Kulturindustriekapitel der Dialektik der Aufklärung,
das erste Dokument dieses Wechsels, ist genau spiegelbildlich zu
dem Aufsatz von 1938 organisiert: die ökonomistische Argumentation
wird randständig, während die Analyse des massenkulturellen Apparats
als Übermächtigungsapparat das dominante Thema darstellt. Die Kategorie
des Warenfetischs wird zwar in einer präzisierten Form beibehalten,
verliert jedoch ihren Anspruch, ein Universalschlüssel zu sein,
und wird zu einer Chiffre für das regressive Verhältnis der Konsumenten
zu den Kulturgütern: "Was man den Gebrauchswert in der Rezeption
der Kulturgüter nennen könnte, wird durch den Tauschwert ersetzt,
anstelle des Genusses tritt Dabeisein und Bescheidwissen, Prestigegewinn
anstelle der Kennerschaft. [...] Der Gebrauchswert der Kunst, ihr
Sein, gilt ihnen als Fetisch, und der Fetisch, ihre gesellschaftliche
Schätzung, die sie als Rang der Kunstwerke verkennen, wird zu ihrem
einzigen Gebrauchswert, der einzigen Qualität, die sie genießen."
(DA, 167) An ihre Stelle tritt als zentrale heuristische Kategorie
die der Herrschaft. Dieser theoretische Bruch wird nicht in der
Dialektik der Aufklärung, sondern erst nachträglich in Adornos
Methodenreflexion von 1966 theoretisch und sachlich durch eine explizite
Kritik an Lukács' Verdinglichungsaufsatz und damit an der eigenen
Position in den 30er Jahren begründet:
"Aber Verdinglichung selbst ist die Reflexionsform
der falschen Objektivität; die Theorie um sie, eine Gestalt des
Bewußtseins, zu zentrieren, macht dem herrschenden Bewußtsein und
dem kollektiven Unbewußten die kritische Theorie idealistisch akzeptabel.
[...] Worunter die Menschen leiden, darüber gleitet mittlerweile
das Lamento über Verdinglichung eher hinweg, als es zu denunzieren.
Das Unheil liegt in den Verhältnissen, welche die Menschen zur Ohnmacht
und Apathie verdammen und doch von ihnen zu ändern wären; nicht
primär in den Menschen und der Weise, wie die Verhältnisse ihnen
erscheinen." (Adorno 1966, 191)
Diese retrospektive Abrechnung ist jedoch in gewisser
Weise blind gegenüber den Motivationen der eigenen Theorieentwicklung.
Daß der Begriff der Verdinglichung/des Warenfetischs nicht schon
Ende der 30er Jahre für Adorno als idealistisches Konstrukt durchschaubar
war, liegt nicht nur an der für die eigene Theorieproduktion folgenreichen
Einbindung in die Konstellation der von Lukács beeinflußten Institutsoutsider
(mit Benjamin und Alfred Sohn-Rethel), sondern auch in der eigentümlichen
Fixiertheit der Adornoschen Massenkulturkritik auf das Thema der
Zerstörung der traditionellen Hochkultur. Da die moderne Massenkultur
von ihm nicht als Vollendung der affirmativen Logik der Hochkultur,
sondern einzig und allein als Resultat der kapitalistischen Aneignung
von Kultur und damit als eine reine Verfallsform begriffen
wurde, lag eine Konzeption nahe, die diese Verfallserzählung in
den allgemeineren Rahmen einer grundsätzlichen Kritik an der kapitalistischen
Warenproduktion integrieren konnte, wobei die Kategorie des Warenfetischs
für Adorno imstande zu sein schien, die Mehrheit der gegebenen Phänomene
theoretisch widerspruchsfrei erfassen zu können. Die nicht in diese
Konzeption passenden Phänomene - die Disziplinarfunktion moderner
Massenkultur, die Neutralisierungseffekte der Kanonisierung hochkultureller
Werke - konnten genauso wie die innere Widersprüchlichkeit der Begriffsarchitektur
von Adorno solange ignoriert bzw. als nebensächliches Konstruktionsproblem
behandelt werden, wie kein alternatives Erklärungsparadigma vorhanden
war. Umgekehrt wird erst im Lichte des neuen, konsistenteren Erklärungsparadigmas
offenbar, daß die ökonomistische Begrifflichkeit gerade in ihrer
Inkonsistenz schon über sich selbst hinauswies, insofern sie, um
mit Althusser zu sprechen, "das Spiel eines realen Dramas" darstellte,
"in dem alte Begriffe verzweifelt die Rolle eines abwesenden Begriffs
übernommen haben und nun vergeblich versuchen, diesen namenlosen
Begriff auf die Bühne [zu] rufen" (Althusser 1972, 35). Dieser Begriff
ist der der Kulturindustrie.
IV.
"Totalitarism, Taylorism, Bruitism, Disco."
LAIBACH, Perspektiven
In den beiden vorangegangenen Abschnitten ist
die Geschichte des Kulturindustrie-Theorems fast ausschließlich
von der Perspektive der Theorieentwicklung Adornos her betrachtet
worden. Die bis jetzt präsentierte Darstellung hat somit noch nicht
vollständig mit dem Erzählrahmen des Eingangs A brechen können,
der in seiner Rezeption der Massenkulturkritik von Horkheimer und
Adorno zwei in methodischer und begrifflicher Hinsicht eher fragwürdige
Aufsätze15 Adornos systematisch überbewertet und die
eigentlichen Innovationen des Kulturindustriekapitels der Dialektik
der Aufklärung auf dem Gebiet einer materialistischen Kultur-
und Medientheorie systematisch unterbewertet hat: zwar wurde die
von diesem Rahmen angenommene Kontinuität zwischen den früheren
Aufsätzen und dem Kulturindustriekapitel als Interpretationsschema
aufgegeben, nicht aber die eigenartige Zentrierung der Darstellung
um das Autor/Subjekt Adorno. Wählt man nämlich nicht die vom Eingang
A fälschlicherweise als repräsentativ für Kritische Theorie insgesamt
angesehenen Gesammelten Schriften Adornos mit ihren internen
Kontinuitäts- und Diskontinuitätslinien als Ausgangspunkt, sondern
die Ende der 30er Jahre schon fest umrissene und im Gegensatz zu
Adorno (1938) nietzscheanisch geprägte Kulturtheorie der Institutsinsider,
so kann die Geschichte des Kulturindustrie-Theorems in bedeutend
kürzerer Zeit als bisher erzählt werden: das Kulturindustriekapitel
der Dialektik der Aufklärung erscheint in dieser Perspektive
als praktisch bruchlose Fortsetzung des Aufsatzes über den affirmativen
Charakter der Kultur von Herbert Marcuse, der seinerseits einer
im Institut schon fast routinemäßig auf jedes beliebige gesellschaftliche
Phänomen angewandten Argumentationsfigur folgt. Wie beispielsweise
die bürgerliche Philosophie oder der Protestantismus, so sei auch
die bürgerliche Kultur geprägt von einem Widerspruch zwischen ihren
emanzipatorischen und ihren herrschaftsstabilisierenden Dimensionen.
Jedes der genannten Phänomene sei in einer ersten Phase, dem Kampf
des Bürgertums gegen die Feudalherrschaft, Träger emanzipatorischer
Ideen. Mit der Stabilisierung der bürgerlichen Herrschaft vor allem
gegenüber den weiterhin vom gesellschaftlichen Reichtum Ausgeschlossenen
würden die emanzipatorischen Züge von den in diesen Phänomenen ebenfalls
enthaltenen autoritären verdrängt, bis schließlich der Umschlagspunkt
erreicht sei, an dem nur noch autoritäre Züge übrigblieben und das
jeweilige Phänomen zu einem integralen Element der faschistischen
Herrschaft werde, die die bürgerliche beerbe. Das System der traditionellen
Hochkultur kann also von zwei verschiedenen Seiten her beschrieben
werden. Zum einen teilt Marcuse Adornos Einsicht in den Einspruchscharakter
traditioneller Kunst gegen das schlechte Bestehende, die er eindringlicher
als Adorno zu beschreiben vermag:
"Indem die große bürgerliche Kunst das Leid und
die Trauer als ewige Weltkräfte gestaltet hat, hat sie die leichtfertige
Resignation des Alltags immer wieder im Herzen der Menschen zerbrochen;
indem sie die Schönheit der Menschen und Dinge und ein überirdisches
Glück in den leuchtenden Farben dieser Welt gemalt hat, hat sie
neben dem schlechten Trost und der falschen Weihe auch die wirkliche
Sehnsucht in den Grund des bürgerlichen Lebens gesenkt." (Marcuse
1937, 67)
Diese Sehnsucht sei unter anderem auch die nach
einem vernunftgeleiteten Zusammenwirken der Individuen, das Freiheit
und Glück erst möglich mache. Traditionelle Kunst, vor allem die
des klassischen Dramas, sei daher auch die Bewahrerin des Ideals
einer herrschaftsfreien Kommunikation:
"Der Vers macht möglich, was in der Prosa der Wirklichkeit
schon unmöglich geworden ist. In Versen sprechen die Personen über
alle gesellschaftlichen Isolierungen und Distanzierungen hinweg
von den ersten und letzten Dingen. [...] Verbrecher und Heiliger,
Fürst und Diener, Weiser und Narr, reich und arm vereinigen sich
in einer Diskussion, aus deren freiem Ablauf die Wahrheit herausleuchten
soll." (Marcuse 1937, 70f.)
Auf der anderen Seite zeige aber die geschichtliche
Entwicklung der bürgerlichen Kultur die Beschränktheit dieses emanzipatorischen
Ideals auf, das mit der traditionellen Kunst verbunden war. "Das
Ideal war freilich so konzipiert, daß weniger seine vorwärtstreibenden
als seine retardierenden, weniger seine kritischen als seine rechtfertigenden
Charaktere dominieren." (Marcuse 1937, 71) Nicht die bestehende
materielle Lebensordnung sollte nämlich durch dieses verbessert
werden, sondern nur die einzelnen Individuen selbst und an ihnen
eigentlich nur ihre Seele. Indem der bürgerliche Kulturapparat die
Gleichheit der Menschen als realisierte proklamierte und ungeachtet
der realen Klassenschranken die Individuen ideologisch als Teilhaber
an einer gemeinsamen Humanität anrief; indem er sie vom schlechten
Dasein absehen ließ und ihre Glücksansprüche in die Scheinwelt der
Kunst verlegte, neutralisierte er die subversiven Potentiale der
klassischen Werke und machte sie zu einem Bestandteil der bürgerlichen
Legitimationsideologie. Über diese Funktion der Produktion eines
ideologischen Scheins hinaus habe die bürgerlich-affirmative Kultur
eine noch wichtigere Rolle im bürgerlichen Herrschaftskonzert erfüllt:
sie sei Erziehungs- und Disziplinarapparat gewesen. Ihre "große
erzieherische Leistung" in der bürgerlichen Epoche hat nach Marcuse
darin bestanden,
"das befreite Individuum, für das die neue Freiheit
eine neue Form der Knechtschaft gebracht hatte, so zu disziplinieren,
daß es die Unfreiheit des gesellschaftlichen Daseins ertrage. [...]
Es gehörte eine jahrhundertlange Erziehung dazu, um jenen großen
und alltäglich reproduzierten Schock erträglich zu machen: auf der
einen Seite die dauernde Predigt von der unabdingbaren Freiheit,
Größe und Würde der Person, von der Herrlichkeit und Autonomie der
Vernunft, von der Güte der Humanität und der unterschiedslosen Menschenliebe
und Gerechtigkeit - und auf der anderen Seite die allgemeine Erniedrigung
des größten Teils der Menschheit [...]." (Marcuse 1937, 89f.)
Diese Konzeption der affirmativen Kultur als ideologischer
und disziplinärer Herrschaftsapparatur wird von den Autoren der
Dialektik der Aufklärung dem Kulturindustriekapitel als Blaupause
unterlegt, wenn auch mit zwei folgenreichen Erweiterungen. Zum einen
besteht für Horkheimer und Adorno die Selbstaufhebung der affirmativen
Kultur nicht einfach wie für Marcuse in der Entkulturalisierung
der Kultur und der Indienstnahme ihrer Disziplinarfunktion für das
faschistische Projekt der totalen Mobilmachung (Marcuse 1937, 95f.).
Sie besteht vielmehr in der Zusammenzwängung affirmativer Kultur
mit dem popularen Unterhaltungsfeld zur industriell gefertigten
Massenkultur. Dabei werde nicht das bloße Amusement an die Stelle
der Erziehung gesetzt. Massenkultur sei im Gegenteil die unerbittliche
Fortsetzung des Zivilisationsprozesses:
"Tragisches Lichtspiel wird wirklich zur moralischen
Besserungsanstalt. Die von der Existenz unterm Systemzwang demoralisierten
Massen, die Zivilisation nur in krampfhaft eingeschliffenen Verhaltensweisen
zeigen, durch die allenthalben Wut und Widerspenstigkeit durchscheint,
sollen durch den Anblick des unerbittlichen Lebens und des vorbildlichen
Benehmens der Betroffenen zur Ordnung verhalten werden. Zur Bändigung
der revolutionären wie der barbarischen Instinkte hat Kultur seit
je beigetragen. Die industrialisierte tut ein übriges. Die Bedingung,
unter der man das unerbittliche Leben überhaupt fristen darf, wird
von ihr eingeübt. [...] Man braucht nur der eigenen Nichtigkeit
innezuwerden, nur die Niederlage zu unterschreiben, und schon gehört
man dazu." (DA, 161f.)
Die Disziplinarfunktion der Kultur erreiche in
der Massenkultur eine neue Qualität, insofern sie auch diejenigen
erfasse, die traditionellerweise von dem Zugang zur affirmativen
Kultur ausgeschlossen waren. Niemand könne sich dem massenkulturellen
Erziehungsprozeß entziehen. "Wer nicht ins Kino geht und lernt,
so zu sprechen und zu gehen, wie das vom Monopol ersonnene Schema
der Gesellschaft, dem sperrt das Monopol die Türen [...]." (Adorno
1942, 330) Daß dieser Einübungsprozeß praktisch reibungslos funktioniert,
liegt für Horkheimer und Adorno aber nicht nur an der terroristischen
Übermacht der vielzähligen, die gesamte Gesellschaft durchdringenden
Herrschaftsapparaturen, mit denen die massenkulturelle eng verzahnt
sei. Massenkultur produziere, so die eigentliche Erklärung, eine
neue Form der Ideologie, die im Gegensatz zu den bürgerlichen Legitimationserzählungen
von den Betroffenen als Ideologie nicht mehr durchschaubar sei.
Dieses Argument stellt nicht nur die zweite Erweiterung des Kulturkonzepts
von Marcuse dar, sondern auch einen tendenziellen Bruch mit den
wahr/falsch-Dichotomien der traditionellen marxistischen Ideologiekritik.
Die neue Form der Ideologie besteht für Horkheimer und Adorno nämlich
nicht mehr in einer "verzerrten", sondern in einer geradezu "hyperrealistischen"
Abbildung der bestehenden Verhältnisse:
"Die neue Ideologie hat die Welt als solche zum
Gegenstand. Sie macht vom Kultus der Tatsache Gebrauch, indem sie
sich darauf beschränkt, das schlechte Dasein durch möglichst genaue
Darstellung ins Reich der Tatsachen zu erheben. Durch solche Übertragung
wird das Dasein selber zum Surrogat von Sinn und Recht." (DA, 156f.)
Ideologisch ist also nicht das Abbildungsverfahren
selber, sondern seine naturalisierenden Effekte: die Massenkultur
bildet die Welt ab, wie sie ist - aber sie präsentiert sie als alternativlos.
Massenkultur spricht sozusagen mit der vermeintlich neutralen Stimme
des Realitätsprinzips zu den Menschen. Ihr kategorischer Imperativ
lautet nach Adorno wie folgt: "du sollst dich fügen, ohne Angabe
worein; fügen in das, was ohnehin ist, und in das, was, als Reflex
auf dessen Macht und Allgegenwart, alle ohnehin denken." (Adorno
1963, 67) Auch der Rekurs auf ihre Herkunft entlarvt die massenkulturelle
Verdoppelung der Welt als ideologische. Im Gegensatz beispielsweise
zum Fetischcharakter der Ware im Marxschen Sinne entsteht diese
nämlich keineswegs naturwüchsig aus der Alltagspraxis der Individuen.
Im Ideologieaufsatz von 1954, der die ideologietheoretischen Befunde
der Dialektik der Aufklärung zusammenfaßt, bestimmt Adorno
die neue Ideologie ausdrücklich als Ergebnis einer systematischen
Manipulationspraxis. Das "falsche" Bewußtsein in der modernen Massengesellschaft
"ist nicht mehr objektiver Geist, auch in dem Sinne,
daß es keineswegs blind, anonym aus dem gesellschaftlichen Prozeß
sich kristallisiert, sondern wissenschaftlich auf die Gesellschaft
zugeschnitten wird. Das geschieht mit den Erzeugnissen der Kulturindustrie,
Film, Magazinen, illustrierten Zeitungen, Radio, Bestseller-Literatur
der verschiedensten Typen, unter denen die Roman-Biographien ihre
besondere Rolle spielen, und nun in Amerika vor allem auch Fernsehen."
(Adorno 1954, 474f.).
Die Reformulierung der traditionellen Ideologieproblematik
in den Begriffen von "überhöhende[r] Verdoppelung" (Adorno 1954,
476) und Manipulation soll aber nicht nur dem weit verbreiteten
Konformismus der Individuen in der modernen Massengesellschaft Rechnung
tragen. Erklärt werden sollen mit ihr in erster Linie die ideologischen
Ursprünge der Faschisierung der Subjekte und damit auch die Stabilität
der faschistischen Herrschaft selbst - wobei diese Erklärung nicht
im Kulturindustriekapitel, sondern in der VII. Antisemitismusthese
der Dialektik der Aufklärung sowie in Horkheimers Vernunftessay
von 1941/42 zu finden ist. In diesem faschismustheoretischen Zusammenhang
stoßen wir wieder auf den Begriff der Regression als Erklärungskonzept.
Regression meint hier den Verlust der eigenen Urteilskraft, mit
dem die Individuen ihre realitätsgerechte Anpassung an die Verhältnisse
bezahlen würden. An ihre Stelle träten die immergleichen Stereotypen
bzw. Stereotypenbündel ("Tickets") der Massenkultur und anderer
ideologischer Apparate. "Heute erhalten die Einzelnen ihre Tickets
fertig von den Mächten, wie die Konsumenten ihr Automobil von den
Verkaufsfilialen der Fabrik. Realitätsgerechtigkeit, Anpassung an
die Macht, ist nicht mehr Resultat eines dialektischen Prozesses
zwischen Subjekt und Realität, sondern wird unmittelbar vom Räderwerk
der Industrie hergestellt." (DA, 215) Denken, traditionellerweise
eine potentielle Distanzierungsmöglichkeit vom Zwang des Realitätsprinzips,
sei unter dem Druck des verschärften Konkurrenzkampfes aller gegen
alle zu einem reinen Organ der Selbstbehauptung der Individuen regrediert,
das, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, sich nicht mehr leisten
könne, störende Erfahrungen, ja, sogar Erfahrungsoffenheit überhaupt,
noch zuzulassen. Die eigene Selbstbehauptung fordere prompte und
fraglose Reaktion zu jeder Zeit auf jede beliebige Situation. "In
den Verbänden ist das Individuum nur ein Element und hat an sich
selbst keine Bedeutung. Wenn es sich erhalten will, muß es nur überall
zupacken können, in jedem Team mitmachen, zu allem geschickt sein.
Es gehört immer einer Belegschaft an, in der Fabrik, beim Straßen-
und Landbau, beim Sport, in der Armee. In jedem solchen Lager muß
es unmittelbar seine physische Existenz verteidigen, beim Arbeiten,
Essen, Schlafen seinen Platz behaupten, Püffe und Schläge nehmen
und austeilen, unter der rauhsten Disziplin noch durchkommen." (Horkheimer
1942, 34) Die ihnen abverlangte prompte Einfügung in beliebige Verhältnisse
könnten die Individuen nur dann erfolgreich leisten, wenn sie sich
ihrer eigenen hemmenden Erfahrungs- und Reflexionsfähigkeit entledigten
und die die Anpassungsanstrengung entlastenden Denk- und Verhaltensstereotypen
der Massenkultur zu den ihrigen machten. "Man bedarf der Kenntnis
von Tatsachen, der automatisierten Fähigkeit, sich richtig zu verhalten,
nicht aber der ruhigen Erwägung verschiedener Möglichkeiten, die
Freiheit der Wahl und Zeit zum Wählen voraussetzt. [...] Im Apparat
wird keinem Zeit gelassen. Man muß sich rasch orientieren, prompt
innervieren können." (Horkheimer 1942, 37) Diese auf den Schematismus
der Massenkultur zurückgreifende alltägliche Form der instrumentellen
Vernunft ist für Horkheimer und Adorno in zweierlei Hinsicht die
Voraussetzung für die alltägliche Faschisierung der Subjekte. Selber
ja nichts anderes mehr als ein Bündel eingeübter Vorurteilsstrukturen
über jeden beliebigen Gegenstand, sei ein solches Denken einerseits
anfällig für die wahnhaften Projektionen der faschistischen Propaganda,
da es keinerlei Erfahrungskriterien zur Erkenntnis ihrer Wahnhaftigkeit
mehr besäße und daher den Antisemitismus der Faschisten genauso
blind verinnerlichen könne wie im demokratischen Zeitalter das Nebeneinander
von positivistischer Wissenschaft und Astrologie. Zum anderen sei
selbsterhaltende Vernunft in ihrer Anpassungsanstrengung von vornherein
von einem Ressentiment gegenüber all jenen geprägt, denen unterstellt
werde, daß sie aus Mangel an Willfährigkeit oder Vernunft nicht
am System der allgemeinen Selbsterhaltung teilnehmen wollten oder
könnten; ein Ressentiment, in dem sie vom kategorischen Imperativ
der Massenkultur bestärkt werde und an das schließlich die nationalsozialistische
Vernichtungslogik nahtlos anknüpfen könne:
"Hat man endlich [...] zum Realitätsprinzip entschlossen
sich bekehrt [...], so soll keiner außerhalb stehen und zuschauen
dürfen. Die Existenz eines einzigen Unvernünftigen erhellt die Schande
der ganzen Nation. Sein Dasein bezeugt die Relativität des Systems
radikaler Selbsterhaltung, das man absolut setzt. Wenn man schon
mit jedem Aberglauben so weit aufräumt, daß nur noch Aberglauben
überhaupt möglich ist, so darf kein Dummer umhergehen und in seinem
schwachen Verstand anderswo das Glück suchen als im unbarmherzigen
Fortschritt. Das törichte Festhalten an jenem Gott, der sie zu jeder
Zeit im Stich gelassen hat, die Unversöhnbarkeit des Prinzips, zu
dem sie aufblicken, auch wenn sie es nicht mehr wissen, mit der
Macht der Welt, begründet den Haß gegen die Juden, der mit der Mordlust
gegen die Irren identisch ist. Der Verdacht des Wahnsinns ist die
unversiegliche Quelle der Verfolgung. Sie entspringt dem Mißtrauen
in die eigene gesäuberte Vernunft, an der die rationale Zivilisation
zugrunde geht." (Horkheimer 1942, 51)
Von dieser vernunftkritischen und faschismustheoretischen
Zuspitzung her betrachtet, kann nicht nur die Entwicklungsgeschichte,
sondern auch der Gegenstand des Kulturindustrie-Theorems
anders bestimmt werden als in bisherigen Interpretationen. In dieser
Perspektive steht in der zweiten Phase dieses Theorems nämlich nicht
mehr die technische Reproduzierbarkeit der Kunst im eigentlichen
Zentrum des Interesses, sondern die technische Reproduzierbarkeit
der Ideologie. Der Ausdruck "Kulturindustrie" ist somit nicht
einfach nur eine mehr oder weniger glückliche Umschreibung der ökonomischen
und technischen Bedingungen moderner Kulturproduktion; er ist die
begriffliche Kondensation der These, daß in den modernen Massengesellschaften,
den demokratischen wie den totalitären, die ideologische Reproduktion
der Verhältnisse vorausplanend-industriell über Kino, Massenpresse
und Volksempfänger organisiert werde. Er ist also, kurz gesagt,
das ideologietheoretische und herrschaftskritische Äquivalent zu
dem neutraleren Begriff der "Massenmedien" (Adorno 1963, 61). Das
Aufkommen des Fernsehens nach dem zweiten Weltkrieg schien dabei
diese These endgültig zu bestätigen. Im Ideologieaufsatz von 1954
gilt das Fernsehen neben dem Kino als das eigentliche Medium der
neuen Ideologie und damit auch der regressiven Realitätsanpassung:
"Die erfahrungslose Starrheit des in der Massengesellschaft
vorherrschenden Denkens wird von dieser Ideologie womöglich noch
verhärtet, während zugleich ein ausgespitzter Pseudorealismus, der
in allem Äußerlichen das exakte Abbild der empirischen Wirklichkeit
liefert, daran verhindert, das, was geboten wird, als ein bereits
im Sinne der gesellschaftlichen Kontrolle Vorgeformtes zu durchschauen.
Je entfremdeter den Menschen die fabrizierten Kulturgüter, desto
mehr wird ihnen eingeredet, sie hätten es mit sich selbst und ihrer
eigenen Welt zu tun. Was man auf den Fernsehschirmen erblickt, gleicht
dem allzu Gewohnten, während doch die Konterbande von Parolen, wie
der, daß alle Ausländer verdächtig oder daß Erfolg und Karriere
das Höchste im Leben seien, als ein für allemal gegeben eingeschmuggelt
wird." (Adorno 1954, 476)
Besaß dieses Modell angesichts der Erstarrung des
demokratischen Projekts in den westlichen Gesellschaften aufgrund
der Systemkonfrontation in den 50er Jahren eine gewisse Plausibilität,
so wurde die These von der erfahrungslosen Starrheit der Individuen
und ihrer unbegrenzten Manipulierbarkeit in der ersten Hälfte der
60er Jahre angesichts des neu entfachten Demokratisierungsprozesses
(amerikanische Bürgerrechtsbewegung, antikoloniale Kämpfe, beginnender
Widerstand in der Bundesrepublik Deutschland gegen die christdemokratische
"formierte Gesellschaft") immer unplausibler. Die westlichen Demokratien
(einschließlich der Bundesrepublik) konnten in diesem Zusammenhang
auch nicht mehr einfach nur als bloße "Atempausen" im unerbittlichen
Zivilisationsprozeß in Richtung eines totalitären Endzustandes beschrieben
werden, wodurch die Medienkritik von Horkheimer und Adorno ihre
faschismustheoretische Pointe verlor. Die Reaktion Adornos auf diese
Plausibilitätsdefizite, die die dritte und letzte Phase in der Geschichte
des Kulturindustrie-Theorems einläutet, hat 1966 darin bestanden,
dem kulturindustriellen Apparat jegliche ideologische Wirksamkeit
abzusprechen. Welche manipulativen Absichten die Kulturindustrie
auch immer hege, ihre faktische gesellschaftliche Funktion erschöpfe
sich in der Produktion von "primitiven Wunscherfüllungen, mit denen
[sie] die Massen füttert, ohne daß diese recht daran glaubten."
(Adorno 1966, 100) Die im völligen Gegensatz zur Ideologietheorie
der 40er und 50er Jahre stehende These von einer Kluft zwischen
ideologischer Manipulationsabsicht und tatsächlicher Rezeption ist
von Adorno in seiner Ästhetikvorlesung vom 14.11.67 mit folgenden
Argumenten weiter ausgebaut worden:
"Lange habe ich die Kulturindustrie danach kritisiert,
daß ihre Wirkungen nur von der Art sein können, wie sie selber ist:
daß sie in Verdummung enden müssen. Es will mir heute manchmal scheinen,
- ich nähere mich damit paradox einem gewissen Empirismus an - als
ob dieser Schluß von der Sache her voreilig war. Die Research-frage
"what does TV do to Peter" ist wahrscheinlich falsch. Kulturindustrie
rinnt wahrscheinlich von den Menschen herunter. Die Flachheit der
Gebilde dürfte mit der Flachheit der Rezeption korrelieren. Es ist
wahrscheinlich so, daß gerade dadurch, daß die Gebilde nichts anderes
als Wirkung kalkulieren, [sie] eigentlich keine Wirkungen mehr ausüben,
sie also eigentlich in sich selbst das verfehlen, um dessentwillen
sie da sind. [...] Die faschistoide Ideologie der Boulevardpresse,
besonders in den angelsächsischen Ländern, hat nicht zu faschistischen
Massenbewegungen geführt. Dieser Aspekt des ästhetischen Erlebnisses,
daß die Flachheit der Sache auch in der Flachheit der Resultate
sich reflektiert, wäre festzuhalten." (Adorno 1973b, 10f.)
Es drängt sich an dieser Stelle der Eindruck auf,
daß die der Kritischen Theorie zugrundeliegende negative Geschichtsteleologie
hier ein tertium non datur erzwingt. Die eine Übertreibung
kann nur durch ihr genaues Gegenteil abgelöst werden: Kulturindustrie
erzeuge in den Menschen eine ideologische Prädisposition für den
Faschismus bzw. die totale Integration in die verwaltete Welt; tut
sie das nicht, so muß sie als wirkungslos angesehen werden. Die
auf die Plausibilitätsdefizite der ersten These reagierende "empirische"
Fassung des Kulturindustrie-Theorems ist dabei aber paradoxerweise
jene, die für eine Analyse heutiger demokratischer Massenkultur
als völlig unbrauchbar anzusehen ist. Indem in der dritten Phase
des Kulturindustrie-Theorems dessen produktive Seite - das, wenn
auch science-fictionhaft überzeichnete, ideologietheoretische Moment
- faktisch durchgestrichen und nur seine dogmatische Seite - die
These von dem schlechten Immergleichen massenkultureller Produktion
- aufrechterhalten wurde, ist dieses Theorem selber zur - ästhetischen
- Ideologie degeneriert: zum erfahrungslosen Stereotyp für
jene Kunsthistoriker und Kulturanwälte, zu denen Adorno noch zur
Zeit der Dialektik der Aufklärung in heftiger Gegnerschaft
gestanden hatte. Mit anderen Worten schlägt das Kulturindustrie-Theorem
an seinem Ende offen in diejenige konservative Ideologie um, die
von Anfang an latent in ihm enthalten war.
Eine für die Analyse heutiger demokratischer Massenkultur brauchbare
Fortsetzung des Kulturindustrie-Theorems kann daher nur außerhalb
der kanonischen Texte Kritischer Theorie gefunden werden. Kodwo
Eshun beispielsweise ist, auch wenn er das Kulturindustriekapitel
der Dialektik der Aufklärung wahrscheinlich nur als ein weiteres
absurdes Dokument eines antiquierten weißen Humanismus ansehen würde,
dessen herrschaftskritischer Dimension näher als der Adorno der
Vorlesungen zur Ästhetik, wenn er vom "militärisch-unterhaltungstechnischen
Komplex" spricht: "Vom Internet bis zu den Simulationsspielen in
den Spielhallen ist die Zivilgesellschaft nichts anderes als ein
riesiger Forschungs- und Entwicklungszweig des Militärs. Der militärisch-industrielle
Komplex ist der Zivilgesellschaft um Jahrzehnte voraus und hat sich
in einen tödlichen militärisch-unterhaltungstechnischen Komplex
verwandelt." (Eshun 1999, 101) Und Michael Hardt und Antonio Negri
haben in direkter Auseinandersetzung mit der Dialektik der Aufklärung
das Kulturindustrie-Theorem für den "postmodernen" Gesellschaftszustand
wie folgt umgeschrieben:
"The political synthesis of social space is fixed
in the space of communication. This is why communications industries
have assumed such a central position. They not only organize production
on a new scale and impose a new structure adequate to global space,
but also make its justification immanent. Power, as it produces,
organizes; as it organizes, it speaks and expresses itself as authority.
Language, as it communicates, produces commodities but moreover
creates subjectivities, puts them in relation, and orders them.
The communications industries integrate the imaginary and the symbolic
within the biopolitical fabric, not merely putting them at the service
of power but actually integrating them into its very functioning."
(Hardt/Negri 2000, 33)
Es ist aber nicht so sehr die erweiterte Bestimmung
der Funktionen moderner Massenkultur im gesellschaftlichen Gefüge,
die die zeitgenössischen Varianten des Kulturindustrie-Theorems
von seiner klassischen Version trennen, sondern vor allem die Annahme
einer Vielfalt von auf dem Terrain der Kulturindustrie selbst
entstehenden kollektiven Widerstandslinien gegen die herrschenden
Verhältnisse (Sonic Fiction, Cyberpunk, die kommunistischen Potentiale
"immaterieller" Arbeit): ein ganzes Netzwerk produktiver und anhaltender
Widerstände, das, folgt man den Schauermärchen der Kritischen Theorie
von der organisierten Manipulation und der totalen Integration der
Individuen, einfach nicht existieren dürfte. Horkheimer und Adorno
haben wie ihre Parteigänger in den 60er Jahren nur die Alternative
zwischen dem Widerstand der vereinzelten Individuen und dem totalen
(kollektiven) Bruch mit den Verhältnissen gekannt, d. h. die zwischen
Resistenz und Revolution. Die unendliche Vielfalt
der zwischen diesen beiden Extrempolen liegenden Möglichkeiten war
Kritischer Theorie (mit Ausnahme Herbert Marcuses) immer suspekt,
da sie, wie der Marxismus vor ihr, diese vielfältigen Kämpfe aufgrund
der in ihr eingeschriebenen Teleologie nicht zu denken vermochte.
Infolge der wachsenden Skepsis gegenüber der revolutionären Option
hat sich die politisch-erzieherische Strategie von Horkheimer und
Adorno dann auch im wesentlichen auf den Versuch beschränkt, mit
den Überresten bürgerlich-liberaler Hochkultur die damit verbundene
Subjektform, wenn auch als randständige, in die Ära der "verwalteten
Welt" hinüberzuretten. Jede Zurückdrängung dieser Subjektform durch
neuartige Verschaltungen von Mensch und Technologie konnte in dieser
Perspektive nur als ein weiterer Terraingewinn inhumaner Verhältnisse
interpretiert werden. Dies erklärt die grenzenlose Traurigkeit dieser
Theorie und ihre Unfähigkeit, zu neuartigen Technologien, Künsten,
Subjektivitäten und Widerstandsformen ein anderes Verhältnis zu
finden als ein ablehnendes oder, wie bei ihren derzeitigen Anhängern,
ein denunziatorisches. Höchste Zeit also, von der negativen Spekulation
Abschied zu nehmen und von einigen realen Widerstandsstrategien
in der realen Welt zu berichten, oder, mit anderen Worten gesagt,
einer Großen Erzählung einige kleine entgegenzusetzen.
V.
"Ebenso gibt es keine künstlerische Bewegung, die
nicht
ihre Städte und Reiche und auch ihre Nomaden, Banden
und Primitiven hat."
GILLES DELEUZE und FÉLIX GUATTARI (1992, 604)
Mit seinem Aufsatz Neue Kunst und Massenkultur
aus dem Jahre 1941, dem einzigen Text des Kulturindustrie-Theorems,
in dessem Fokus die Frage nach der Möglichkeit von Widerstand gegenüber
den autoritären Tendenzen in der demokratischen Massengesellschaft
steht, hat Max Horkheimer gleichzeitig auch eine Art positiver Positionsbestimmung
des Projekts einer Kritischen Theorie vorgelegt. Angesichts einer
von allen emanzipatorischen Dimensionen gereinigten Aufklärung,
die in Gestalt der Massenkultur endgültig in autoritäre Ideologie
und Massenbetrug umgeschlagen sei, müsse sich antiautoritäres Denken
mit derjenigen kritischen Instanz verschwistern, die nach der Integration
von Marxismus, Psychoanalyse und Arbeiterbewegung in den Block der
Herrschaft als einziges wirkungsmächtiges Widerstandsmoment noch
übriggeblieben sei: der Instanz der ("autonomen") Kunst. Diese ist
für Kritische Theorie in zweierlei Hinsicht von paradigmatischer
Bedeutung: sie stellt nicht nur ein Modell für die Erhaltung "starker"
Subjektivität dar, sondern auch ein Modell für eine Erkenntnisform,
die im Gegensatz zur instrumentell verkürzten Vernunft nicht das
Besondere zugunsten des Allgemeinen liquidiert:
"Individualität besteht nicht in Idiosynkrasien
und Schrullen, sondern in der Widerstandskraft der geistigen Fähigkeiten
gegen die plastische Chirurgie des herrschenden Wirtschaftssystems,
das alle Menschen auf eine einheitliche Norm zu bringen trachtet.
Die Menschen sind in eben dem Maß frei, sich in Kunstwerken wiederzuerkennen,
wie sie der allgemeinen Nivellierung widerstanden haben. Individuelle
Erfahrung, wie sie das Kunstwerk verkörpert, ist nicht weniger gültig
als die organisierte, welche die Gesellschaft zur Naturbeherrschung
einsetzt. Obgleich ihr Kriterium allein in ihr selbst liegt, ist
Kunst nicht weniger Erkenntnis als die Wissenschaft." (Horkheimer
1941, 313f.)
Das System der traditionellen Hochkultur hat indes
als affirmative Kultur genau jene allgemeine Nivellierung und jene
Schwächung des Subjekts befördert, die Kritische Theorie zu bekämpfen
sucht. Das Widerstandspotential der Kunst im allgemeinen könne daher
nicht mehr von den traditionellen Werken, sondern nur noch von denen
einer neuen Kunst realisiert werden, die sich jeglicher affirmativen
Tendenz, jeglicher Innerlichkeit und jeglichen Eskapismus genauso
entledigt habe wie des verfehlten Rationalismus der Progressiven:
"Die Trauer und das Grauen, die von solchen Werken
ausgehen, sind nicht identisch mit den Gefühlen jener, die sich
aus rationalen Gründen von der Wirklichkeit abwenden oder sich gegen
sie empören. Das Bewußtsein, welches hinter ihnen steht, sieht sich
viel eher von der Gesellschaft, wie sie ist, abgeschnitten und zu
grotesken, dissonantischen Ausdrucksformen gezwungen. Indem diese
ungastlichen Werke dem Individuum die Treue halten gegen die Infamie
des Bestehenden, bewahren sie den authentischen Gehalt früherer
großer Kunst, sind sie Raffaels Madonnen und Mozarts Opern tiefer
verwandt als alles, was heute deren Harmonie nachleiert, zu einer
Zeit, da die glückliche Gebärde zur Maske des Wahnsinns wurde und
die traurigen Gesichte des Wahnsinns zum einzigen Zeichen der Hoffnung."
(Horkheimer 1941, 318f.)
Auch wenn diese Zeilen wie Auszüge aus einem Erlebnisbericht
von einem Siouxsie & The Banshees-Konzert klingen, ist Horkheimers
Bestimmung einer "neuen Kunst" äußerst restriktiv. Neue Kunst, oder,
anders gesagt, die klassische ästhetische Avantgarde des letzten
Jahrhunderts, vertreten durch Künstler wie James Joyce, Pablo Picasso
oder Arnold Schönberg, bleibt für ihn weiterhin ein Teilbereich
sogenannter ernster Kunst, die sich ausschließlich an das
vereinzelte Individuum wende und zudem durch Kommunikationsverweigerung
gekennzeichnet sei: "Was überhaupt an den jüngsten Kunstwerken noch
Kommunikation ist, denunziert nur die herrschenden Formen von Kommunikation
als Mittel der Destruktion und die Harmonie als Trugbild des Zerfalls."
(Horkheimer 1941, 320) Abgesehen davon, daß eine "Kommunikationsverweigerung"
durch ein Kunstwerk eine semiotische Unmöglichkeit darstellt,
ist diese Bestimmung neuer Kunst durch eine Kette von blinden Flecken
geprägt: Horkheimer wie auch Adorno können weder die Möglichkeit
denken, daß die neue Kunst sich nicht an ein gegebenes Individuum
in einer gegebenen Gesellschaft wendet, sondern an ein virtuelles
neues Volk, das sie ruft und herbeisehnt - das "katzenhafte
Volk" zum Beispiel, von dem Louis Aragon geträumt hat -, noch die
Möglichkeit, daß die gleiche Funktion auch von Werken der populären
Kunst erfüllt werden kann: "Es ist nicht sicher, ob die Klangmoleküle
der Popmusik nicht doch hier oder da, hier und heute, ein Volk neuer
Art ausschwärmen lassen, dem Radiobefehle, Computerkontrollen und
die atomare Bedrohung völlig gleichgültig sind." (Deleuze/Guattari
1992, 472) Ebenfalls kann sich Kritische Theorie keine Konstellation
vorstellen, in der eine wechselseitige Beeinflussung oder gar Verbindung
von avantgardistischer und populärer Kunst jenseits ihrer industriellen
Zwangssynthese stattfinden könnte: eine Beeinflussung avantgardistischer
durch populäre Kunst (wie beispielsweise im Surrealismus) wird von
ihr in jedem Fall als Verrat an den Intentionen "ernster" Kunst,
eine Beeinflussung populärer durch avantgardistische Kunst (wie,
um ein Adorno noch bekanntes Beispiel zu nennen, bei den Beatles)
wird von ihr in jedem Fall als "gesunkenes Kulturgut" bewertet.
Diese hochkulturelle Hermetik, die an der Kultur der Plebs zwar
ihr Widerstandsmoment bewundert, sie ansonsten aber als bloße Unterhaltung
bagatellisiert und sie daher nicht in ihren Kunstbegriff integrieren
kann, ist der eine Grund, warum es der soziologischen und ästhetischen
Sensibilität Horkheimers und Adornos offenbar entgangen ist, daß
die von ihnen als monolithisch perspektivierte Kulturindustrie sich
im musikalischen Bereich kurz vor der Abfassung des Kulturindustriekapitels
der Dialektik der Aufklärung in zwei antagonistische Lager
gespalten hatte. Was sie als Musik der Kulturindustrie beschreiben
- die sogenannte Broadway/Hollywood-Achse der populären Musik, repräsentiert
durch die American Society of Composers, Authors, and Publishers
(ASCAP) - stellt deshalb nur die eine Hälfte des damaligen massenkulturellen
musikalischen Geschehens in den Vereinigten Staaten dar. Die von
der Kritischen Theorie übersehene zweite Hälfte besteht in den von
der ASCAP routinemäßig ausgegrenzten Vertretern des (weißen und
schwarzen) popularen Kunstfeldes, die im Jahre 1941 in einer Konkurrenzorganisation
zur ASCAP - der Broadcast Music Inc. (BMI) - organisiert
wurden, die den Urheberrechtsschutz auf bluesmen und hillbillies
ausdehnte und dem monopolistischen Einfluß der ASCAP auf die Entwicklung
des musikalischen Geschmacks offen entgegentrat. Mit der Gründung
der BMI beginnt indessen nicht nur die Geschichte des Kampfes zwischen
Majors und Independents, sondern, weit folgenreicher,
der Einbruch des popularen Kunstfelds in das Terrain der industriellen
Massenkultur selbst, deren erster Höhepunkt der Rock'n'Roll darstellen
sollte.
Der zweite Grund für diese Blindheit gegenüber diesen Kämpfen auf
dem musikalischen Sektor liegt in der einer Kritischen Theorie der
Gesellschaft völlig unangemessenen Verachtung, die Adorno
in den 30er Jahren jeglicher schwarzen Popularkultur entgegengebracht
hat. Im Jazzaufsatz von 1936/37 äußert sich Adorno, wenn es um die
schwarzen Wurzeln des Jazz geht, deutlich genug: "Soweit bei den
Anfängen des Jazz, beim Ragtime vielleicht, von Negerelementen die
Rede sein kann, dürfte es weniger um archaisch-primitive Äußerungen
als um die Musik von Sklaven sich handeln; selbst in der autochthonen
Musik von Innerafrika scheint die Synkope bei durchgehaltener Zählzeit
durchaus nur der niederen Schicht zugehörig. Psychologisch mag die
Struktur des Ur-Jazz am ehesten an die des Vor-sich-hin-Singens
der Dienstmädchen gemahnen. Die Society hat ihre Vitalmusik, wofern
sie sie nicht von Anfang an nach Maß herstellen ließ, nicht von
Wilden, sondern von domestizierten Leibeigenen bezogen. Damit könnten
dann freilich die sadistisch-masochistischen Züge des Jazz recht
wohl zusammenhängen." (Adorno 1937, 83) Nicht die Tatsache, daß
Adorno, schlimm genug, den Nachkommen der Sklaven und ihrer Kultur,
zu der der Jazz ja eigentlich gehört, jegliche Fortentwicklung von
den Prägungen der Sklaverei abspricht, macht dabei das eigentlich
Skandalöse an dieser Pointe über den Ursprung des Jazz aus, sondern
die argumentative Konstellation, in der sie auftaucht: den Exotismus
der Jazzenthusiasten, gegen die der gesamte Jazzaufsatz gerichtet
ist, kann Adorno offenbar nur mit dem Rückgriff auf das kulturrassistische
Stereotyp kritisieren, daß Entwurzelte zu keiner besonderen Kulturleistung
fähig seien.16 Daß es sich bei dieser Äußerung nicht
um einen isolierten Ausrutscher Adornos handelt, zeigt sich an anderen
Stellen des gleichen Aufsatzes: so gelten ihm unterdrückte Völker
als besonders prädestiniert für den Jazz (Adorno 1937, 99); und
der Umstand, daß "der Farbige Duke Ellington" als seine Lieblingskomponisten
Debussy und Delius nennt, wird faktisch als Indiz für die Verfallstendenzen
impressionistischer Musik in Richtung Salonmusik und Jazz angeführt
(Adorno 1937, 90-91).
Ohne diese zutiefst europäische Haltung gegenüber allem, was nicht
der eigenen hochkulturellen Tradition entspricht, hätte Kritische
Theorie schon im Jahre 1944 ein Konzept von populärer Kultur entwickeln
können, das mehr gewesen wäre als die in der Dialektik der Aufklärung
und den ihr nachfolgenden Aufsätzen tatsächlich realisierte ohnmächtige
Verfallserzählung, die sich selbst wie auch die von ihr propagierte
Neue Kunst als eine an vereinzelte Individuen adressierte Flaschenpost
begriff. Sie hätte ihrem eigenen ursprünglichen Anspruch gemäß die
Kämpfe realer Bewegungen auch auf diesem Feld solidarisch begleiten
können, anstatt die immer etwas komische Rolle einer von den realen
geschichtlichen Verläufen enttäuschten normativen Theorie einzunehmen;
sie hätte nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland
nicht nur die Werke der Neuen Kunst, sondern mit guten Gründen auch
die durch den Bruch von 1941 massenwirksam gewordenen Formen der
amerikanischen Popularmusik verteidigen können, die, Ironie der
Geschichte, von den hiesigen Verwaltern des abendländischen Kulturerbes
im Gegensatz zu Adorno neben der Neuen Kunst durchaus zielsicher
als zweite Bedrohung ihres eigenen affirmativen Kulturprojekts identifiziert
worden sind. Kurz gesagt hätte sie lange vor Deleuze/Guattari die
erste Philosophie des Pop sein können. Denn das Kulturindustriekapitel
der Dialektik der Aufklärung - einschließlich seiner unveröffentlichen
Fortsetzung - enthält selbst in der gegebenen Fassung Kriterien,
deren konsequente Anwendung zu einer in ästhetischer und politischer
Hinsicht positiven Deutung der auf dem Terrain der industriellen
Massenkultur erscheinenden popularen Gegenbesetzungen über die bloße
Anerkennung ihres Widerstandspotentials hinaus hätte führen müssen.
Kulturindustrielle Produktion ist nach Horkheimer und Adorno nämlich
nicht nur deshalb disziplinär, weil sie auf der ideologischen Ebene
die Individuen zu vorgenormten Verhaltensweisen und Denkstereotypen
zwingt; sie ist es auch deshalb, weil ihr eigentliches ästhethisches
Ziel die Erziehung der Individuen von der bloßen Unterhaltungskunst
weg zum "gehobenen Geschmack" und damit der unerbittliche Zwang
zur Vergeistigung und zur Arbeit am Sinn selbst bei den harmlosesten
Vergnügen ist. Sie erschöpft sich daher nicht einfach in der Zurichtung
und Banalisierung traditioneller Kultur für den Massenkonsum. Ihre
Kehrseite ist die gleichzeitige Transformation des Amusements in
eine Art Initiationsritus in das Wertesystem der affirmativen Kultur:
"[Das Amusement wird] durch den immerwährenden Umgang mit dem verschacherten
Geist solange gehoben, bis es in Pflichtübungen zur Kenntnisnahme
von Kulturwerten ausartet. Die Differenz zwischen der "seriösen"
und der leichten Produktion wird entweder abgeschliffen oder organisiert
und damit in der großen Totalität aufgehoben. [...] Es gibt keinen
Kitsch mehr und keine intransigente Moderne." (Adorno 1942, 305f.).
Und: "Nicht also daß die Kulturindustrie Amusement aufwartet, macht
den Betrug aus, sondern daß sie durch geschäftstüchtige Befangenheit
in den ideologischen Clichés der sich selbst liquidierenden Kultur
den Spaß verdirbt." (DA, 151) Der "harte Kern" kulturindustrieller
Produktion besteht demnach nicht in Zerstreuungsformen wie etwa
Tanzmusik oder den Funnies, sondern in Benny Goodman mit
dem Budapester Streichquartett, in den Schlagern George Gershwins
oder in dem nicht einfach mehr bloße Unterhaltung bietenden, sondern
im Gegenteil gespannte Aufmerksamkeit und prompte Reaktion auf jedwedes
Stimulans erheischenden, d. h. eine andauernde Testsituation darstellenden
Hollywoodfilm (DA, 144-147). Alle puristischen Gegenbewegungen auf
dem massenmusikalischen Gebiet, ob Rock'n'Roll, Underground, Punk
oder Neue Deutsche Welle, haben in Reaktion auf die leerlaufende
Virtuosität und den Kunstanspruch der jeweiligen saturierten Dominanzform
populärer Musik sich nun einerseits konsequenterweise als bewußt
primitive Musikformen verstanden, die in dieser Primitivität
jeweils die "ursprünglichen" - unterhaltenden wie subversiven -
Intentionen des popularen Musikfeldes wiederherzustellen suchten.
Sie haben auf diese Weise einen Einschnitt produziert, von
dem aus neue Formen populärer Musik erst möglich geworden
sind; ihre Strategie entspricht dabei haargenau jener, nach der,
Adorno folgend, die Neue Kunst sich ins Leben gerufen hat: "Verdinglichte
Technik zieht zuweilen Korrektive herbei, die dem "Wilden", Barbarischen,
technisch Primitiven, Kunstfeindlichen sich nähern. Was prägnant
neue Kunst heißt, wurde von diesem Impuls herausgeschleudert [...]."
(Adorno 1973a, 320) Sie haben weiterhin diejenigen Formen des Kitsches,
die den innerkulturindustriellen Säuberungsmaßnahmen zum Opfer fielen,
nicht als sinnentleerten Abfall begriffen, sondern - von den Mothers
of Invention bis hin zur Neuen Deutschen Welle - in ihre Strategien
integriert, um auf diese Weise die ideologischen Superzeichen der
hegemonialen Massenkultur dekonstruieren zu können. Sie haben schließlich
Formen dargestellt, die - vom Blues bis zum Punk - die Artikulation
kollektiver - und nicht bloß allein "allgemein menschlicher"
- Leidenserfahrungen ermöglicht haben. Alles in allem haben
sie zur etablierten Massenkultur in demselben Oppositionsverhältnis
gestanden wie die Neue Kunst zum System der affirmativen Kultur;
sie haben sowohl in ästhetischer wie auch in ideologischer Hinsicht
deren strukturelles Äquivalent auf dem Gebiet der industriellen
Massenmusik dargestellt. Ein strukturelles Äquivalent allerdings,
daß sich nicht in der Einführung neuer "Stilrichtungen" erschöpfte,
sondern durch seine Gegnerschaft zur etablierten Massenkultur immer
auch ein Politikum dargestellt hat. So ist schon in den 50er Jahren
der Rock'n'Roll aufgrund seiner Hybridität und seiner Gegnerschaft
zum offiziellen Popentertainment - und weniger aufgrund seiner expliziten
Inhalte - zum politischen Angriffsziel des hegemonialen Blocks aus
Staat, offizieller Massenkultur und der Moral Majority in
Amerika geworden:
"Während des Aufstiegs des Rock'n'Roll führte eine
weitgehende Interessenallianz zwischen ASCAP, den wichtigsten Plattenfirmen
und der US-Regierung zu einer lang andauernden Schlacht um "gute
Musik". Für die ASCAP war der Angriff auf den Rock'n'Roll nichts
weiter als eine Weiterführung ihrer fortgesetzten Bemühungen, den
Konkurrenten BMI aus dem Geschäft zu verdrängen, denn der Hauptanteil
der Rock'n'Roll-Songs war von BMI-Autoren geschrieben worden. Für
die Major-Labels war dieser Kampf ein Versuch, die Expansion der
Independents aufzuhalten. Zwar stellten die Independents nie wirklich
eine substantielle ökonomische Bedrohung für sie dar, jedoch lieferten
sie im Jahre 1956 zehn der neunzehn Rock'n'Roll-Platten, die in
den Top Ten dieses Jahres vertreten waren. Abgesehen davon hatten
die Majors ästhetische Aversionen gegen eine Musik, von der sie
nicht wußten, wie man sie produziert. Für konservative Abgeordnete,
die sich ins Fahrwasser von Leuten wie Frank Sinatra, Bing Crosby,
Steve Allen, Ira Gershwin und Oscar Hammerstein begaben, bedeutete
die Verurteilung einer Musik, die weithin als unmoralisch und subversiv
galt, zudem auch noch schwarz war, eine sichere Bank, um schnell
einprägsame Schlagzeilen abzufassen. Zur Zielscheibe wurden die
Radio-DJs, als der Rock'n'Roll zu einem politischen Spielball in
einem im wesentlichen ökonomischen Krieg mit deutlichen moralischen,
ästhetischen und rassischen (d. h. ideologischen) Zwischentönen
geworden war." (Garofalo 1994, 22f.)
Ob aus Unkenntnis dieser Auseinandersetzungen oder
aus Desinteresse an ihnen: der Rock'n'Roll und dessen Derivate sind
jedenfalls für Adorno niemals etwas anderes gewesen als die aktuellsten
Produkte der kulturindustriellen Barbarei und des kulturindustriellen
Profitinteresses (Adorno 1973a, 473). Auch die Science Fiction galt
ihm trotz des in den 60er Jahren ausgebrochenen Kampfes der an den
Werken der literarischen Moderne geschulten Protagonisten der New
Wave (u. a. Michael Moorcock, J. G. Ballard, Harlan Ellison,
Samuel R. Delany) gegen die Vorherrschaft der in den Stereotypen
des Genres befangenen Traditionalisten als eine immer-nur "unterkünstlerische"
Gattung (Adorno 1973a, 129). Dogmatisch-realitätsferne Äußerungen
wie diese hat die Adorno beerbende Massenkulturkritik der 70er Jahre
für das letzte mögliche Wort in Sachen populärer Kultur gehalten.
Sie hat daher das Diktum der Ästhetischen Theorie, daß "heute
[...] alles, was als leichte Kunst firmiert, zu verwerfen [ist]"
(Adorno 1973a, 357), zum Ausgangsprinzip ihrer eigenen Wissenschaftsprojekte
gemacht. Für diese unkritische Abhängigkeit vom späten Adorno hat
sie einen hohen Preis bezahlt: wissenschaftlich gesehen mit ihrem
tendenziellen Veralten angesichts der rapide fortschreitenden
Entwicklungstendenzen innerhalb der populären Genres, die sie mit
dem dogmatisch-popkritischen Rahmen der Ästhetischen Theorie
nicht mehr adäquat zu erfassen vermochte; politisch gesehen mit
ihrer Bündnisunfähigkeit, da sie selbst derjenigen Bewegung,
deren Programmatik am ehesten der Zivilisations- und Medienkritik
der eigenen Tradition entsprach - dem Punk17 -, nicht
anders zu begegnen wußte als mit dem Vorwurf der Trivialität und
dem zu ihrer Zeit routinemäßig auf alles Verstörende angewandten
Faschismusverdacht. Ihr eigener ökonomistischer Reduktionismus hat
es ihr weiterhin nicht erlaubt, den Status der im engeren Sinne
ökonomischen Argumentation Adornos in der Ästhetischen Theorie
- der Kritik der Ware und ihres Fetischcharakters - und ihre Validität
für eine Kritik populärer Kultur realistisch einschätzen zu können:
diese stellt nicht etwa eine Art Grundriß für eine Politische Ökonomie
der Massenkultur dar, sondern vielmehr eine relativ vorgeschobene
Argumentationslinie, die wie in den beiden vorhergehenden Phasen
des Kulturindustrie-Theorems zudem durch reine Assoziationen und
Analogiebildungen erkauft worden ist. Das eigentliche Argument Adornos
gegen die Möglichkeit einer Evolution innerhalb der populären Genres
ist nämlich hier kein ökonomisches, sondern ein technologiekritisches.
Es sind die Bedingungen industrieller Massenproduktion, die, dem
späten Adorno zufolge, den Einbruch des Neuen in die populären Genres
per se verhindern würden: "Die industriellen Techniken jedoch,
Wiederholung identischer Rhythmen und wiederholte Hervorbringung
von Identischem nach einem Muster, enthalten zugleich ein dem Neuen
konträres Prinzip." (Adorno 1973a, 405) Die repetitiven und iterativen
Strukturen industriell produzierter Massenkultur sind daher für
Adorno das genaue Gegenteil von "autonomer Kunst": sie stellen für
ihn nur die ästhetische Seite des allgemeinen Rückfalls der Aufklärung
in das Immergleiche des Mythos dar (DA, 18). Überhaupt ständen Kunst
und Technik in einem antinomischen Verhältnis zueinander; Kunst,
die Technik fetischisiere, höre auf, Kunst zu sein. (Adorno 1973a,
323f.). Von diesem Apriorismus her wird nicht nur Adornos Indifferenz
gegenüber allen Ereignissen auf der massenkulturellen Bühne verstehbar,
sondern auch sein in der Ästhetischen Theorie artikuliertes,
äußerst selektives Verhältnis zu dem akkumulierten Innovationspotential
der ästhetischen Avantgarden des letzten Jahrhunderts. Ist schon
sein Verhältnis zu den ihm eigentlich zu popnahen Bewegungen des
Dadaismus und des Surrealismus ein äußerst zwiespältiges gewesen,
so hat Adorno aufgrund des obigen Fetischverdachts außer der Dichtung
Samuel Becketts und der elektronischen Musik Karlheinz Stockhausens
keine neue Kunstrichtung nach dem zweiten Weltkrieg mehr positiv
rezipiert. Werden diese Kunstrichtungen - wie beispielsweise die
serielle Musik - im Argumentationsgang der Ästhetischen Theorie
erwähnt, dann nur zu Zwecken der Abgrenzung. Symptomatischer als
dies ist jedoch der Umstand, daß ausgerechnet die Pop Art
in der Ästhetischen Theorie überhaupt keine - noch nicht
einmal negative - Erwähnung findet, d. h. exakt diejenige Kunstrichtung,
deren explizite Strategie gerade darin bestanden hat, die repetitiven
und iterativen Strukturen der modernen Massenkultur zum Ausgangsmaterial
der eigenen Kunstproduktion zu machen. Sie stellt nämlich eine von
Adornos eigenem Ansatz nicht mehr zu bewältigende "postmoderne"
Infragestellung der klassischen Dichotomien von Originalität und
Schema, Kunst und industrieller Produktion, hoher und niedriger
Kunst usw. dar. Diese Strategie ist zudem nicht nur im Bereich der
sogenannten "ernsten Kunst" angewendet worden, sondern bekanntlich
auch auf dem Gebiet der Massenkultur. Die folgende Programmatik
einer Popkunst von Gilles Deleuze ist daher nicht nur als Reflexion
über die Malerei der Pop Art (Andy Warhol), den Nouveau
Roman (Michel Butor) und die mit ihm verbundenen Filmprojekte
(Alain Robbe-Grillet) zu verstehen, sondern auch als theoretische
Vorwegnahme u. a. der Musik von Kraftwerk, Laibach und Station 17:
"Die Kunst ahmt nicht nach, ahmt aber vor allem
deswegen nicht nach, weil sie wiederholt und aufgrund einer inneren
Macht alle Wiederholungen wiederholt [...]. Noch die mechanischste,
alltäglichste, gewöhnlichste und völlig stereotype Wiederholung
findet ihren Platz im Kunstwerk und wird dabei stets im Verhältnis
zu anderen Wiederholungen verschoben, und zwar unter der Bedingung,
daß man ihr eine Differenz für diese anderen Wiederholungen abzulocken
vermag. Denn das einzige ästhetische Problem besteht darin, die
Kunst ins tägliche Leben eindringen zu lassen. Je mehr unser tägliches
Leben standardisiert, stereotyp und einer immer schnelleren Reproduktion
von Konsumgegenständen unterworfen erscheint, desto mehr muß die
Kunst ihm sich verpflichten und jene kleine Differenz entreißen,
die überdies und zur gleichen Zeit zwischen anderen Ebenen der Wiederholung
wirksam ist [...]; sie muß im Konsum ein hebephrenes Klappern der
Kiefer und in den abscheulichsten Zerstörungen des Krieges noch
Prozesse der Konsumtion entdecken, sie muß die Illusionen und Mystifikationen,
die das wahre Wesen dieser Zivilisation ausmachen, ästhetisch reproduzieren,
damit die Differenz schließlich zum Ausdruck gelangt, mit einer
im Zorn selbst repetitiven Kraft, die die fremdartigste Selektion
herbeizuführen vermag, und wäre es nur eine Kontraktion hier und
da, d. h. eine Freiheit zum Ende einer Welt." (Deleuze 1992, 364f.)
Zusammenfassend gesagt muß der Versuch der Kritischen
Theorie, das Widerstandspotential der modernen Kunst gegenüber den
autoritären Tendenzen in der demokratischen Massengesellschaft mittels
ihrer eigenen (theoretischen) Praxis der eingreifenden Kritik zu
stabilisieren oder gar zu verstärken, als ein völlig kontraproduktives
Unternehmen bewertet werden. Und dies nicht nur aufgrund ihrer völligen
Uninformiertheit hinsichtlich der Entwicklungen auf dem Gebiet der
populären Kultur seit den 50er Jahren oder ihrer Unfähigkeit, die
von der Pop Art ausgehende radikale Infragestellung der eingeschliffenen
Sichtweisen der modernen Ästhetik theoretisch einholen zu können;
aufgrund blinder Flecken in ihrer Kunstauffassung also, die einen
konstruktiven Eingriff in die jeweiligen Kunstfelder verhindert
haben, was letztendlich zu einer Schwächung ihrer Widerstandspotentiale
geführt hat. Ein weiterer schwächender Faktor ist nämlich paradoxerweise
Adornos eigener Kampf für die Anerkennung der Neuen Kunst gewesen.
Da er keine soziale Konstellation benennen konnte, in der ihre innovativen
und subversiven Impulse hätten voll entfaltet werden können, ist
das einzige nennenswerte Ergebnis seines Eintretens für die Neue
Kunst ihre Aufnahme in den hochkulturellen Kanon gewesen - allerdings
zum Preis ihrer vollständigen Neutralisierung. Im Zeitalter ihrer
völligen Musealisierung können ihre Impulse daher heutzutage ironischerweise
nur, Kodwo Eshun zufolge, durch Aneignungsstrategien im avancierten
Pop bewahrt werden: "Pop rettet den Nichtpop immer wieder retroaktiv
[...]. Skratchadelia entlassen die Avantgarde aus ihren zitatwütigen
Gefängniszellen, indem sie ihre sanktionierenden Institutionen verflüssigen."
(Eshun 1999, 21) Es ist dieses Ausbleiben einer lebensfähigen (hochkulturellen)
Alternative zu der als bloßes kommerzielles Tricksystem aufgefaßten
populären Massenkultur, das die heutige Fetischkritik in den Kulturkonservativismus,
ja sogar Kulturpessimismus getrieben hat. Obwohl Adorno der Stichwortgeber
auch für diese Position gewesen ist, hat er im Unterschied zu seinen
Anhängern deren Reaktivität dennoch geahnt: "Vielleicht steht es
an, zu Kunst heute, kantisch, als zu einem Gegebenen sich zu verhalten;
wer für sie plädierte, macht bereits Ideologien und sie selbst zu
einer. Anzuknüpfen vermag allenfalls der Gedanke daran, daß etwas
in der Realität jenseits des Schleiers, den das Zusammenspiel von
Institutionen und falschem Bedürfnis webt, objektiv nach Kunst verlangt;
nach einer, die für das spricht, was der Schleier zudeckt." (Adorno
1973a, 35) Gewiß ist es berechtigt, jede Erscheinung der populären
Kultur, die an dieser Verschleierung von Leiden teilhat, kompromißlos
zu verwerfen - und damit durchaus einen großen Teil der derzeitigen
massenkulturellen Produktion. Der Versuch der adornitisch gestimmten
Kulturlinken jedoch, der schlechten Totalität der Massenkultur mit
dem mehr oder weniger verzweifelten Rückgriff auf eine traditionelle
Hochkultur zu begegnen, der ja nicht nur die ökonomischen Grundlagen,
sondern auch größtenteils ihr kritischer Charakter abhanden gekommen
ist, kann heutzutage nur noch als eine völlig restaurative Position
betrachtet werden, die all das unterschlägt, was Horkheimer, Adorno
und Marcuse zu einer grundsätzlichen Kritik der bürgerlichen Kultur
beigetragen haben. Nicht zufälligerweise sind die eigentlichen Gegner
dieser linken Zeitgeistkritik daher nicht mehr, wie noch bei Adorno,
die staatstragenden Kanonisierer und Kulturverwalter, sondern kritisch-diagnostische
Konkurrenzprojekte wie beispielsweise der Poststrukturalismus oder
die Cultural Studies: nicht nur, weil deren Umgang mit dem
Phänomen Pop der eigenen verbissenen Ablehnungshaltung nicht entspricht,
sondern vor allem, weil diese den eigenen unkritischen, im übrigen
eher auf Lukács denn auf Adorno zurückgehenden Kulturbegriff nicht
teilen. Wer nämlich die traditionelle Hochkultur als Gegenpol zur
"Verdinglichung" verherrlicht, möchte nicht über die inhärenten
Beziehungen unterrichtet werden, die diesen Kulturtyp mit Nationalismus,
Androzentrismus, Rassismus und Antisemitismus verbinden. Dieses
selektive Verhältnis zur eigenen Theorietradition und die prinzipielle
Unfähigkeit zum Dialog mit konkurrierenden Ansätzen ziehen jedoch
Effekte nach sich, die den eigenen gesellschaftskritischen Intentionen
völlig zuwiderlaufen. Einer davon ist der Gebrauchswert einer derart
neoromantisch zugerichteten Kritischen Theorie für die aktuellsten
Projekte der Herrschaft. Sie ist nämlich mehr als jede andere Kulturtheorie
dazu geeignet, als Legitimationserzählung für das von rechts bis
links geplante Vorhaben verwendet zu werden, unter dem Schlagwort
der "deutschen Leitkultur" die ideologischen und disziplinären Funktionen
der traditionellen Hochkultur wiederherzustellen und Kultur insgesamt
nationalistisch zu reterritorialisieren. Drei Jahrzehnte nach Adornos
Tod schlägt Kritische objektiv in affirmative Theorie um. Dies hat
sie nicht zuletzt ihren Anhängern zu verdanken.
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Anmerkungen
1 Eine Gegenüberstellung von Kritischer
Theorie und französischem Situationismus aus fetischkritischer
Sicht findet sich beispielsweise in Grigat (2001).
2 So charakterisieren Horkheimer und Adorno in ihrer
Selbstanzeige anläßlich der Erstpublikation der Dialektik der
Aufklärung (d. h. der Institutspublikation von 1944) die dort
versammelten Untersuchungen als Fragmente eines philosophischen
work in progress, "which probe hitherto unexplored regions of
thought" (zit. nach Wiggershaus 1986, 364). Vgl. weiterhin auch
die diesbezügliche Warnung in der Vorrede von 1944 zur Dialektik
der Aufklärung: "Mehr noch als die anderen Abschnitte ist der
über Kulturindustrie fragmentarisch" (DA, 6).
3 Vergleiche dieser Art ziehen sowohl Habermas (1986,
138) als auch Wiggershaus (1986, 366).
4 Vgl. die grundsätzliche Absetzung von der "oppositionellen
Begriffssprache" in DA, 2.
5 Dem Kulturindustrie-Theorem werden, mit älteren Leseprotokollen
mehr oder weniger übereinstimmend, neben dem einschlägigen Kapitel
aus der Dialektik der Aufklärung hier folgende Texte der Kritischen
Theorie zugerechnet: Adorno (1937); Adorno (1938); Adorno (1942);
Adorno (1963); Adorno (1973a, 32-35); Adorno/Simpson (1941); Horkheimer
(1941) sowie die in engem Zusammenhang mit ihm stehende Kritik
der affirmativen Kultur in Marcuse (1937). Abweichend von älteren
Leseprotokollen wurden jedoch in den zu besprechenden Textkorpus
zwei weitere, mehr oder weniger "vergessene" Beiträge aufgenommen,
bei denen es sich ausgerechnet um diejenigen missing links handelt,
über die die regionale Analyse populärer Massenkultur mit der
sie steuernden Metaerzählung systematisch in Beziehung gesetzt
werden kann: Adorno (1954) stellt dabei die ideologietheoretische
Fundierung des Kulturindustrie-Theorems dar, Horkheimer (1942)
seine Einbettung in die Vernunft- und Herrschaftskritik der Kritischen
Theorie; beide machen auch die internen Beziehungen besser sichtbar,
die zwischen dem Kulturindustriekapitel, dem I. Kapitel, dem II.
Exkurs und der VII. Antisemitismusthese der Dialektik der Aufklärung
bestehen. Keine nennenswerte Berücksichtigung fanden dagegen die
Ästhetischen Exkurse der Kritischen Theorie, d. h. die im engeren
Sinne kunsttheoretischen und -kritischen Schriften Adornos: einerseits
hätte eine Einbeziehung dieser Texte den bewußt eng gesetzten
Rahmen dieser Arbeit gesprengt; zum anderen muß der Verfasser
aber auch gestehen, daß es ihn nicht wirklich interessiert, warum
Adorno Strawinsky für totalitär, Schönberg aber für die Revolution
in der "ernsten Musik" gehalten hat, oder warum er sich so merkwürdig
sicher darüber war, daß das Endspiel auf die Katastrophen des
XX. Jahrhunderts und die atomare Apokalypse anspiele (Adorno 1961,
286, 290), anstatt es einfach als ein "Spiel" zu verstehen. Wie
Samuel Beckett einmal gesagt hat: für solches ernstes Zeug gibt
es Universitäten, Kirchen, Cafés du Commerce usw.
6 Vgl. Adorno 1937, 82: "Wie die Realität, in der ein
Schlager erklingt, keine planvoll geordnete ist; wie Ort und Stunde
mehr über das Schicksal eines Gebildes zu entscheiden vermögen
als sein eigenes Verdienst, so ist planlos das Bewußtsein derer,
die ihn rezipieren, und die Irrationalität vorab die der Hörer."
7 Zu der dieser Rückführung zugrundeliegenden These
Adornos, daß im Zeitalter moderner Massenproduktion der Genuß
sich nicht mehr an den Gebrauchswert, sondern an den Tauschwert
einer Ware hefte, siehe Abschnitt III dieses Textes.
8 Daß Bürger nicht gewillt ist, sich über die oben
zitierte Montage Adornoscher Thesen über populäre Kultur hinaus
auf diesen Gegenstand einzulassen, zeigt das etwas eigenartige
Belegverfahren, das an dieser Stelle zur Anwendung kommt. Bürger
begründet seine Argumentation nämlich nicht etwa, wie man erwarten
könnte, mit den Ergebnissen eigener oder fremder Untersuchungen
über zeitgenössische populäre Kultur, sondern ausschließlich mit
einem Verweis auf Adorno (1938) (Fußnote 23) und einem mit
"bekanntlich" eingeleiteten Verweis auf die Verfahren zur Herstellung
von Trivialliteratur (Fußnote 22). Im Vergleich dazu stellt
die Massenkulturkritik von Horkheimer und Adorno ein geradezu
empiristisch zu nennendes Untersuchungsprogramm dar.
9 Vgl. Adorno 1937, 85 und Adorno 1938, 34.
10 Das Verhältnis zwischen Reklame und Regression wird
nämlich in seinen wesentlichen Zügen von Adorno (1938) in bloßer
Analogie zu einer sich als eine politische Parole ausgebenden
englischen Bierreklame konstruiert. In dem Werbespruch What we
want is Watney's glaubt Adorno einen Mechanismus entziffern zu
können, der auch die Konsumtion massenkultureller Produkte steuere:
"Die Verhaltensweise, die das Plakat suggerierte: daß Massen eine
ihnen empfohlene Ware zum Gegenstand ihrer eigenen Aktion machen,
findet sich in der Tat als Schema der Rezeption leichter Musik
wieder. Sie brauchen und verlangen das, was ihnen aufgeschwatzt
wird. Das Gefühl der Ohnmacht, das sie im Angesicht der monopolistischen
Produktion beschleicht, bewältigen sie, indem sie sich mit dem
unausweichlichen Produkt identifizieren" (Adorno 1938, 30). Diese
Analogiebildung mag vielleicht, wie Adorno glaubt, die Angleichung
von Reklame und politischer Propaganda demonstrieren können; aus
ihr kann aber nicht zwingend auf die erfolgreiche Wirksamkeit
des propagandistischen Mechanismus geschlossen werden. Diese wird
von Adorno von vornherein mit den Begriffen "monopolistische Produktion",
"Terror" und "Ohnmacht" auch für den Fall der Massenkultur demokratischer
Gesellschaften unterstellt. Anders gesagt handelt es sich auch
bei dieser These um eine extrapolative im Sinne des Eingangs B.
11 Die Brauchbarkeit der Kategorien "Gebrauchswert"
und "Tauschwert" für eine Theorie der Rezeption von Kunst im Zeitalter
der Massenkultur ist schon von Hans Mayer (1938, 377ff.) bestritten
worden, der Adornos Anwendung dieser Kategorien auf die musikalische
Sphäre als bloße Analogiebildungen begreift. Vgl. zu diesem Problem
auch die Rekonstruktion der Adorno-Mayer-Kontroverse in Ette (1998),
dessen terminologischer Änderungsvorschlag in eine ähnliche Richtung
geht wie der oben präsentierte: "Wenn Adorno nämlich die Übertragung
der Gebrauchswertfunktion der zum Kulturgut erstarrten Kunst auf
den als Geldpreis realisierten Tauschwert am Beispiel des Konzertbesuchers
illustriert, der eigentlich sein Geld "anbetet", anstatt das Konzert
zu genießen, so ist diese Veneration dem üblichen Waren- oder
Geldfetischismus nicht gleichzusetzen. Sie meint vielmehr die
Übertragung des von Benjamin so genannten Kultwerts der Kunst
auf die Geldware, die ihr Äquivalent bilden soll: ein Vorgang,
der bei einem gewöhnlichen Kauf nicht stattfindet" (Ette 1998,
433).
12 Vgl. Horkheimer 1939, 401, 404. Diesem Text lag
eine Replik Adornos auf Mayer (1938) zugrunde, die Horkheimer
praktisch unverändert übernahm und lediglich in die verbindlichere
Form eines persönlichen Anschreibens kleidete. Auch wenn in ihm
gegenüber Mayer von einem "gemeinsamen Standpunkt von Wiesengrund
und mir" (Horkheimer 1939, 400) die Rede ist, spiegelt dieser
Brief die sehr spezifische Position Adornos in der im Institut
geführten Diskussion über die Grundlagen einer materialistischen
Kulturtheorie wider und sollte daher nicht, wie dies Ette (1998)
nahelegt, als repräsentativ für die Institutsposition jener Jahre
verstanden werden.
13 Vgl. beispielsweise Adorno 1938, 43: "Sehr leicht
klingt alle Musik heute so wie für Nietzsches Ohren der Parsifal.
Sie mahnt an unverständliche Riten und überlebende Masken aus
der Vorzeit, sie provoziert als Brimborium." Die im Fetischismusaufsatz
noch eher randständige Kritik an den Neutralisierungseffekten
der Kanonisierung von Kunstwerken, die Adorno dort zudem konstant
mit dem Regressionsthema vermischt, verschärft sich im Kulturindustriekapitel
der Dialektik der Aufklärung zu einer Kritik an allen Formen offizieller
Kultur als Vorbedingung der industriellen Zurichtung der Werke:
"Die ästhetische Barbarei heute vollendet, was den geistigen Gebilden
droht, seitdem man sie als Kultur zusammengebracht und neutralisiert
hat. [...] Der Generalnenner Kultur enthält virtuell bereits die
Erfassung, Katalogisierung, Klassifizierung, welche die Kultur
ins Reich der Administration hineinnimmt" (DA, 139).
14 Vgl. Vološinov 1975, 153: "In jeder Epoche seiner
historischen Existenz muß das Werk eine enge Verbindung mit der
wechselnden Ideologie des Alltagslebens eingehen, sie in sich
eindringen lassen und sich mit ihren neuen Säften vollsaugen.
Nur in dem Maße, wie das Werk imstande ist, eine solche unlösbare
organische Verbindung mit der Alltagsideologie der jeweiligen
Epoche einzugehen, ist es innerhalb dieser Epoche auch lebensfähig
[...]. Außerhalb dieser Verbindung hört es auf zu existieren,
denn es wird nicht mehr als ideologisch relevant erlebt."
15 Das in Abschnitt III dieses Textes über den Fetischismusaufsatz
Gesagte gilt gleichermaßen für den Jazzaufsatz von 1936/37. Auch
dieser ist durch eine Übertragung von außermusikalischen Begriffen
auf die musikalische Sphäre gekennzeichnet, die dort reine Analogiebildungen
darstellen und deren Zusammenhalt auf bloßer metonymischer Assoziation
beruht. Im Gegensatz zum Fetischismusaufsatz entstammen diese
Begriffe aber nicht der Politischen Ökonomie, sondern der Psychoanalyse
in ihrer orthodoxesten Form. Der rigide Einsatz psychoanalytischer
Interpretationsmuster entwertet dabei auch die produktiven Thesen
des Aufsatzes wie die von der Androgynität des Jazz, die sich
für Adorno in der gegenseitigen Annäherung von Jazzinstrumenten
und menschlicher Stimme im Klang zeigt. Diese Androgynität, obgleich
als sozial nicht konformierendes Moment des Jazz eingeführt, gilt
ihm nämlich in Wirklichkeit nur als ein Symptom für die den Sexus
verstümmelnde gesellschaftliche Integrationsfunktion des Jazz
und als potentielle Grundlage eines faschistischen Männerbundwesens:
"Die Verstümmelung des genital zentrierten Subjekts, als deren
ritualer Vollzug Jazz einsteht, gibt im Augenblick der Regression
die Partialtriebe frei. Sie werden freilich durch die falsche
Integration sogleich verdrängt und damit erst - in ihrer sozialen
Konfiguration - verderblich; die Homosexualität zum verschworenen
Kollektiv, Sadismus zum Terror." (Adorno 1937, 106). Die von Adorno
angeführten Belege für diese mit seiner Warenförmigkeit einhergehenden
Fähigkeit des Jazz zur sexuellen Verstümmelung sind obendrein
allesamt assoziativisch zurechtkonstruiert: aufgesperrte Flügeldeckel
in amerikanischen Filmen, das Schriftbild des Wortes Jazz sowie
die Bezeichnung Tiger Rag symbolisierten die Kastrationsdrohung
und die Sehnsucht nach Zerfetzung des menschlichen Körpers (Adorno
1937, 102); die Art, in der Jazzsängerinnen lächeln, wenn sie
den Rock heben, symbolisiere dagegen die der sexuellen Verstümmelung
des Mannes korrespondierende erotische Preisgabe der Frau im Jazz
(Adorno 1937, 103). Vor dem Hintergrund einer derart unkontrollierten
Theoriebildung sollten auch Adornos einschlägige Kritiken an dem
positivistischen Just the facts! wie auch an der "Halbbildung"
anders als bisher gelesen werden: nämlich als bloße Selbstimmunisierungsstrategien
gegenüber einer das eigene Verfahren betreffenden Methodenkritik.
16 Diese Pointe ist zudem sachlich falsch. Der Jazz
ist, wie von einem Phänomen der Popmusik auch nicht anders zu
erwarten, in seinen Ursprüngen hybrid und kann nicht monokausal
auf die Musik der Sklavenplantagen zurückgeführt werden. Zur Hybridität
des "Ur-Jazz" vgl. den äußerst instruktiven Eintrag zur Geschichte
des Jazz im Dictionary of American Slang von Harold Wentworth
und Stuart B. Flexner: "This is the music first played by small
Creole and Negro groups in and around New Orleans in the decades
before 1900. Its rhythms were based in part on African songs,
field chants used by slaves, work chants of railroad laborers
and prisoners, and the Spanish and French music known to the Creoles
of the region. It was first played on battered, secondhand instruments
discarded by marching and military bands. The musicians were often
self-taught, though some were trained in traditional methods"
(Wentworth/Flexner 1975, 286).
17 Eine unterirdische zivilisationskritische Verbindung
zwischen Kritischer Theorie und Punk entdeckt zu haben (Eingang
F), ist das bleibende Verdienst von Greil Marcus: "Wahrscheinlich
kann man keine Definition von Punk so weit fassen, daß sie Theodor
W. Adorno mit einschließt. Als Musikfreund war ihm Jazz zuwider,
als er zum erstenmal Elvis Presley hörte, mußte er sich bestimmt
übergeben, und die Sex Pistols hätte er zweifellos als Rückkehr
der Kristallnacht verstanden, wäre er nicht glücklicherweise 1969
gestorben. Doch in Minima Moralia taucht der Punk alle paar Zeilen
auf: Seine ansteckende Abscheu vor dem, was die westliche Zivilisation
gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus sich gemacht hatte, war
1977 Thema Hunderter von Songs und Parolen. [...] Minima Moralia
wurde als eine Reihe von Sentenzen, von Reflexionen verfaßt, jeder
einzelne monolithische Absatz marschierte unaufhaltsam in Richtung
Zerstörung jeder Spur von Hoffnung, die er enthalten mochte, jedem
Absatz war ein ohnmächtiger Fluch vorangestellt, blanke Ironie,
jeder einzelne (beliebig ausgewählte) ein guter Titel für eine
Punk-Single: "Bangemachen gilt nicht", "Schwarze Post", "Lämmergeier",
"They, the people". Nach 1977 hätte man ein Sprech-Brüll-Album
mit dem Titel Big Ted Says No veröffentlichen können, was popmäßig
betrachtet durchaus in sich schlüssig gewesen wäre, und wenn man
so will, geschah dies auch: Man höre sich Metal Box von PIL, Johnny
Rottens Band nach den Sex Pistols, an, lese dabei Minima Moralia
und versuche herauszufinden, wo das eine aufhört und das andere
anfängt." (Marcus 1993, 76f.)
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