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Liberalismus
Fundamentalismus Populismus
von
Sebastian Reinfeldt
Vorspann
Meine Überlegungen zur Konfrontation Liberalismus vs. Fundamentalismus
lassen sich in drei Teile gliedern. Zuerst einmal werde ich eine
semiotische Analyse der Gegenüberstellung Liberalismus vs. Fundamentalismus
vorstellen.
Darauf folgt im zweiten Teil ein Abriß der neuen politischen Kräfteverhältnisse
seit 1989, dem Zeitpunkt also, den wir als Markstein angeben, um
den Beginn der Neuordnung der Welt anzuzeigen. Materiell gehört
das Phänomen des Fundamentalismus zu eben jener neuen Weltordnung.
Anschließend möchte ich einige Fragestellungen diskutieren, die
meiner Ansicht nach für das Begreifen dessen, was momentan politisch
vor sich geht, zentral sind, etwa: Säkularisierung und Nationen-Werdung,
Souveränität und Repräsentation.
Dies mag wie ein klassischer Dreischritt aussehen; eine philosophische
Analyse arbeitet sich hoch von der Ideologie über die materiellen
Kämpfe und Kräfteverhältnisse bis hin zu der in Gedanken gefaßten
Welt. Doch ist dies nicht meine Absicht. Vielmehr vertrete ich die
These, daß in dem Konfliktfall, den wir momentan erleben, alle drei
Ebenen miteinander verwoben sind. Mit dem Entwirren der einzelnen
Fäden möchte ich dazu beitragen, die Konfliktlinien besser zu verstehen.
Das scheint mir die beste Voraussetzung dafür zu sein, auf den Konflikt
angemessen antworten und ihn hegen zu können.
1. Liberalismus vs. Fundamentalismus: Eine
konträre Opposition
Die Gegenüberstellung Liberalismus vs. Fundamentalismus ist eine
verwirrende Sache. Wenn wir versuchen, sie mit den Mitteln der Semiotik
in den Griff zu bekommen, stellen wir nämlich fest, daß der Bezugsrahmen
eigentlich unklar ist. Lassen Sie uns annäherungsweise unter Liberalismus
eine politische Ideologie verstehen, der es um die Freiheit des
Individuums zu tun ist, die sich um die Grenzen des Regierens sorgt,
die den Marktgesetzen vertraut und für die die Trennung von Kirche
und Staat im Zentrum steht.
Dann sehen Sie, daß Fundamentalismus mindestens ein weiteres Attribut
braucht, um damit wirklich vergleichbar zu sein. Denn vom Wort her
bedeutet Fundamentalismus erst einmal, "sich auf Fundamente zu beziehen";
diese Fundamente sind zumeist allgemeine Quellen des Glaubens (der
Koran, die Bibel, andere heilige Bücher); ein Fundamentalist ist
dann jemand, der "ad fontes" geht. Das hat mit Liberalismus wenig
zu tun.
Erst durch eine Attribuierung - beispielsweise als "islamischer
Fundamentalismus" - und durch das in einen Gegensatz-Rücken
zum Liberalismus entsteht ein konkreterer politischer Bedeutungshorizont,
dem zufolge das Individuum immer als Teil einer religiösen Gemeinschaft
gedacht und angerufen wird; zu regieren heißt dann, bei der staatlichen
Organisation die grundlegenderen Gesetze zu beachten, die im heiligen
Koran niedergelegt worden sind; schließlich ist der Markt in höhere
moralische Prinzipien eingefaßt. Auch werden die religiösen und
öffentlichen Institutionen - zumindest von der Tendenz her - aufeinander
bezogen.
Man muß den gemeinsamen Bezugsrahmen in einem Interpretationsakt
also erst herstellen, und man könnte darin einen willkürlichen (politischen)
Eingriff in die Semiosis sehen. Durch die Attribuierung und
Entgegensetzung wird das Gleiten der Bedeutungen in einer konträren
Opposition stillgestellt. Wiederaufnahmen in Richtung "protestantischer
Fundamentalismus" oder Wucherungen in Richtung "liberaler Fundamentalismus"
werden, semiotisch betrachtet, erschwert, da hierfür die initiale
konträre Gegenüberstellung aufgeweicht werden muß. Ein aufweichender
Diskurs wiederum muß sein Heil im "einerseits - andererseits"
suchen und er wird zumeist in einer vermittelnden Haltung enden
- in Zeiten des Krieges etwa keine besonders komfortable Position.
Diese erste Beobachtung ergibt eine grundlegende Schwierigkeit beim
Lesen der Gegenüberstellung. Wo ist die Leserin bzw. der Leser der
Opposition verortet, und welcher Code kann benutzt werden?
Vom Liberalismus aus gesehen ist der fundamentalistische Diskurs
ver-rückt; es sieht so aus, als ob Fundamentalismus eine Art Retro-Bewegung
wäre, die in die Vergangenheit der westlichen Vor-Moderne verweist,
in eine Zeit, die wir schon überwunden haben. Damit wäre das semiotische
Spiel klarer und wir müßten uns auf die europäische Aufklärung beziehen,
die uns von den Trugbildern der Vergangenheit befreit hat, und damit
auch aus der Umklammerung einer religiösen Herrschaft. Auf der anderen
Seite, der des Fundamentalismus, fänden wir dann - wie die Chimären
aus dem Mittelalter - fanatische Massen und ihre charismatischen
Führer am Werke, die an einer resakralisierenden Revolution arbeiten.
Dieses diskursive Spiel läßt sich weiter spinnen, denn ein Fundamentalist
bzw. eine Fundamentalistin würde - dieselbe Opposition, aber von
der anderen Seite her benutzend - nun die westlich-liberale, selbstvergessene
Zivilisation in Frage stellen. Er oder sie sucht größtmögliche Distanz
zu diesem Weltentwurf zu erreichen, und aktualisiert dabei weniger
Altes, sondern bekundet den Willen, etwas Neues, bisher nicht Dagewesenes
zu schaffen. Einen besonderen Gottesstaat etwa, eine Gemeinschaft
der Auserwählten, eine Zelle des guten Lebens, die sich deutlich
von ihrer maroden Umgebung abheben. Und er oder sie würde Argumente
finden, um zu zeigen, wie notwendig die Befreiung aus der Umklammerung
der liberalen, westlichen Lebensweise ist, die keine wirklichen
Prinzipien mehr kennt, und wo alle alles dürfen.
Dabei möchte ich hier nicht für die Austauschbarkeit von Argumenten
plädieren, oder gar meinen, daß das alles nur ein Spiel mit Worten
sei. Ganz im Gegenteil: Die beschriebene Situation ist in Wahrheit
ein typischer Fall politischer Hegemonie. Politische Führung erlangen
diejenigen, die einen ganzen Bedeutungsraum festschreiben können,
der den Lesenden erzwungene Wahlfreiheiten läßt, was das Überschreiten
der gesamten Opposition undenkbar macht. Wie es Ernesto Laclau einprägsam
formuliert hat: Hegemonie funktioniert hier nicht so sehr als Verankerung
der "eigenen" Ideologie im Volk, sondern als "Konstruktion des Undenkbaren",
das heißt als systematische Schließung möglicher politischer Alternativen.1
Das liberale Staatsmodell, das liberale Menschenbild und die entsprechende
Lebensweise herrscht in den meisten Zeitungstexten, Politikerreden
und internationalen Deklarationen vor, und es wird militärisch propagiert.
Dabei ist der letzte Halbsatz für eine weitere Analyse der aktuellen
hegemonialen Beziehungen von zentraler Bedeutung. In den 90er Jahren
- dem Zeitpunkt also, als "die Freiheit gesiegt hatte", wie so viele
meinten - sind wir Zeugen einer faktischen und symbolischen Rückkehr
des Krieges als politisches Mittel auch nach Europa geworden. Er
ist als Ordnungsinstrument eingesetzt worden, auch um regionale
Hegemonien zu zerschlagen. Diese Kriege gaben sich weder als klassische
Angriffskriege, noch als klassische Verteidigungskriege, sondern
sie wurden von westlicher Seite als humanitäre Feldzüge und unter
dem Signum geführt, es gehe um die Befreiung unterdrückter Völker.
Diese Vorgehensweise der "Demokratisierung" und "Humanisierung"
wirft den Fundamentalismus als sein Anderes aus. Dementsprechend
figuriert der vom Islam inspirierte Märtyrer als der "Partisan"
des 21. Jahrhunderts. Sein bzw. ihr angebliches "Heldentum", die
Bereitschaft, das Äußerste aufs Spiel zu setzen, ist ein extremes
Massenphänomen - extrem und sehr irritierend, denn es spiegelt eine
gemittete westlich-liberale Subjektivität, die sich nicht auf diese
Weise riskieren würde, sondern stattdessen einen vernünftigen Eigennutz
als individuelles und gesellschaftliches Prinzip behauptet. In den
modernen, liberalen Gesellschaften ist das absolute Opfer, nämlich
das Opfer des eigenen Lebens, eher die Ausnahme.
2. Politische Kräfteverhältnisse
Verglichen mit der Situation Ende der 80er Jahre haben sich in
den vergangenen 15 Jahren die politischen Kräfteverhältnisse grundlegend
verändert. Der post-moderne Kapitalismus und die post-moderne
Demokratie haben eine Ära politisch-ideologischer Herrschaft eingeleitet,
die die sozialen Kräfteverhältnisse nicht einfach nur abbildet.
- Das sind zuerst einmal neuartige geo-politische Konstellationen
zu nennen, die nach dem Zusammenbruch des real-existierenden
Sozialismus in Osteuropa entstanden sind.
Regionale Hegemonien ordnen sich neu, die direkten und indirekten
Einflußsphären der USA haben sich bemerkenswert deutlich ausgeweitet;
Ländergrenzen in den Peripherien werden meist in Folge von Kriegen
bzw. Bürgerkriegen neu gezogen (Balkan, Afrika, Orient, Ränder
der ehemaligen Sowjetunion). Diese Kriege werden und wurden
von westlicher Seite teils nur beobachtet, teils noch befeuert,
teils mit geführt.
Die Welt bekommt eine neue Landkarte. Auf ihr sind unter anderem
islamische - oder mehrheitlich islamische - Staaten entstanden,
die es auf diese Weise zuvor nicht gegeben hat, wobei einflußreiche
islamische Gruppen von westlicher Seite in ihrem Kampf gegen
die Sowjetunion unterstützt, ja teilweise mitgegründet worden
sind (z. B. in Algerien).
Und es sind über-nationale politische Einheiten (wie die EU
der 25) im Entstehen, deren politischer Status, deren Verfassung
und deren Identität momentan ziemlich unklar ist.
- Damit verbunden sind die Effekte der momentanen Phase der
Globalisierung. Dabei geht es nicht nur um die erzwungene Mobilität
und Flexibilität der Arbeitskräfte oder um den ungehinderten
Geld- und Warenverkehr innerhalb des weltumspannenden Kapitalismus,
sondern auch um den Status und die Bestimmung der genauen Rolle
der Nationalstaaten, die nicht nur bestimmte politische Agenden
an übergeordnete Institutionen abgeben, sondern die durchaus
die Globalisierung intern (und extern) steuern. In welcher Form
werden etwa die Nationalstaaten in Europa in 20 Jahren existieren?
Wer regiert uns eigentlich, und wer wird die Welt - wie - regieren?
- · Fragen nach der guten Regierung stellen sich sowohl innerhalb
der post-modernen Demokratien als auch in denjenigen Ländern,
in denen dieses Gesellschaftsmodell adaptiert wird. Liberale
Demokratie scheint sich nicht von selbst zu verstehen, und sie
entspricht auch nicht automatisch dem Willen der Völker. Augenscheinlich
hat sie weitergehende kulturelle Voraussetzungen und ist in
ihrer bestehenden Verfaßtheit nicht so elastisch, verschiedene
kulturelle Muster zu integrieren. Dies wird besonders hinsichtlich
der Schwierigkeiten beim Umgang mit Migranten in allen westeuropäischen
Ländern deutlich, wobei die Kopftuchdebatte in Frankreich und
Deutschland nur eine sichtbare Facette des Problems darstellt.
Hinzu kommt, daß die demokratische Kultur des Westens von ihrer
Genese her und in ihrer konkreten Gestalt eng mit den sozialen
und ökonomischen Formen des Kapitalismus verbunden ist, der
die Menschen und den Planeten intensiver als je zuvor ausgebeutet
und vernutzt hat.2 Daher kann liberale Demokratie
heute auch als politische Form ökonomischer Ausbeutung erscheinen;
sie erlaubt dann eben kein "Empowerment", sondern verlangt das
Gegenteil: soziale Unterwerfung und moralischen Konformismus.
- Schließlich sind irritierende ideologische Phänomene zu beobachten,
die die genannten Problemstellungen begleiten und die auf einen
grundlegenden inneren Wandel der "real existierenden liberalen
Demokratien westlichen Typs" verweisen. Populismus, verstanden
als politische Technologie der Kommunikation Regierung-Bürger,
ist die dominierende politische Artikulation. Sie bevölkert
den gesamten politischen Raum. Wer sich äußern will, muß dies
in Form griffiger Slogans tun, die Freund und Feind benennen
und die "etwas" in der Gesellschaft skandalisieren.
Damit geht ein grundlegender institutioneller Wandel einher,
etwa an den Universitäten, in der Verwaltungsstruktur post-moderner
Demokratien, in den Systemen sozialer Sicherungen etc... Populismus
spielt zu all dem nicht nur eine ideologische Begleitmusik,
sondern er konstruiert auf kurze Zeit wirksame politische Wir-Identitäten,
die die Menschen mobilisieren, damit diese Änderungen akzeptabel
erscheinen, schließlich müsse man ja die früheren Zeiten hinter
sich lassen und zu (den bereits vorgegebenen) neuen Ufern aufbrechen.
Und Populismus gebiert eine wachsende Zahl von ressentimentgeladenen
Passivbürgern, die alles über sich ergehen lassen, was "von
oben" kommt, da man ja "eh nichts ändern" könne.
3. Wunder und Ausnahmezustand
In der Zeit, die wir - von heute aus gesehen - als Zwischenkriegszeit
bezeichnen, verfaßte der deutsche Jurist und Staatstheoretiker Carl
Schmitt einen Text mit dem Titel: Politische Theologie. Vier
Kapitel zur Lehre von der Souveränität. Die Welt der Monarchie
war im Ersten Weltkrieg und in der Oktoberrevolution nach 1917 untergegangen.
Um die Konturen der neuen Welt tobten in ganz Europa heftige gesellschaftliche
Kämpfe - vielleicht ist dieser Zeitraum deshalb in einigen Punkten
mit unserer heutigen Lage vergleichbar.
Von konservativ-katholischer Seite aus, und gleichzeitig von der
Erkenntnis der Unwiederbringlichkeit der alten Zeiten getrieben,
formulierte der Jurist Schmitt im Jahre 1922: "Alle prägnanten Begriffe
der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe."3
Diese These ist keineswegs restaurativ angelegt. Sie meint nicht,
daß eine Politische Theologie in die moderne Staatslehre Einzug
halten solle, die dann das Chaos der Zeit begrifflich wieder ins
rechte Lot rücken würde, vielmehr beschreibt Schmitt damit den Status
der Legitimation liberaler Demokratien: Sie ergebe sich zuerst aus
der Vertreibung theologischer Begrifflichkeiten und deren nachträglicher
Ersetzung, wobei dieser Prozeß Spuren hinterlasse.
Schmitt arbeitet eine funktionale Äquivalenz zwischen theologischen
und modernen staatstheoretischen Begriffen heraus, die das
historische Gleiten der Begrifflichkeiten von der Theologie zur
Staatslehre noch überbietet. Schmitt erläutert also den ersten Satz,
wonach alle staatsrechtlichen Begriffe säkularisierte theologische
Begriffe sind: "Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach, weil
sie aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, indem
zum Beispiel der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde,
sondern auch in ihrer systematischen Struktur, deren Erkenntnis
notwendig ist für eine soziologische Betrachtung dieser Begriffe."4
Es handelt sich logisch gesehen um eine historische Analogie und
eine funktionale Äquivalenz. Der omnipotente Gesetzgeber in einem
modernen Staatsgefüge "ist" nicht ein allmächtiger Gott, sondern
die mit den Begriffen verbundenen Attribute wurden von Gott auf
die Erde und dort auf den Gesetzgeber übertragen. Im argumentativen
Kontext Schmitts funktioniert der souveräne Gesetzgeber auf dieselbe
Weise wie Gott gegenüber dem Volk Gottes.5
Diese Auffassung des Werdens der politischen Moderne hat natürlich
Widerspruch ausgelöst. Dabei möchte ich mich besonders auf Hans
Blumenberg und seine Schrift Die Legitimität der Neuzeit
beziehen. Gegen die These Schmitts wendet er ein, daß die Aufklärung
als politische Bewegung und Theorie einen Bruch mit jeglicher theologischen
Tradition vollzogen habe. Nach der Aufklärung sei der Gottesbezug
unseres politischen Lebens gänzlich gefallen, moderne demokratische
Staaten erzeugten sich also selber und sie täten dies nicht in den
Begriffen des Überwundenen.
Moderne Staatslehre könne daher weder als verweltlichte Theologie
begriffen werden, noch könne die Theologie als Motivspender gelten.
Schmitt dekretiere einen nicht existenten Zusammenhang. Blumenberg:
"Es ist nicht eine verweltlichte Theologie, sondern die Selektion
des weltlich Erträglichen aus der Theologie, das dann seinerseits
als Norm des Dekretierten ausgegeben werden kann."6
Nun geht die Replik Blumenbergs auf einen - wie ich finde - entscheidenden
Satz nicht ein, dessen Strahlkraft und Tragweite eigentlich unüberhörbar
ist. Der Satz, der unmittelbar auf die oben zitierte Passage folgt
und die den Eingangssatz eigentlich begründet, lautet: "Der Ausnahmezustand
hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für
die Theologie." An diesem Punkt der Argumentation passiert doch
etwas Einzigartiges, eine plötzliche Öffnung des Politischen, die
nicht sogleich verschlossen wird. Wenn ein Wunder geschieht, dann
ist dies überraschend, unerklärlich; die Naturgesetze werden ‚auf
einen Schlag' durchbrochen. Wunder sind hier nicht nur Zeichen Gottes
wie bei Augustinus, sie demonstrieren wie bei Thomas von Aquin,
dem Carl Schmitt deutlich näher steht, als plötzliche und unerwartete
Tat die Allmacht Gottes.
Schmitt: "Denn die Idee des modernen Rechtsstaates setzt sich mit
dem Deismus durch, mit einer Theologie und Metaphysik, die das Wunder
aus der Welt verweist und die im Begriff des Wunders enthaltene,
durch einen unmittelbaren Eingriff eine Ausnahme statuierende Durchbrechung
der Naturgesetze ebenso ablehnt wie den unmittelbaren Eingriff des
Souveräns in die geltende Rechtsordnung. Der Rationalismus der Aufklärung
verwarf den Ausnahmefall in jeder Form."7
Das ebenfalls oft zitierte Diktum von Carl Schmitt: "Souverän ist,
wer über den Ausnahmezustand entscheidet" bedeutet also, daß durch
den Ausnahmezustand das moderne politische Denken an die Grenzen
seiner Vernunft getrieben wird, so weit, bis durch den Ausnahmezustand
eine plötzliche Öffnung passiert, eine Öffnung, nach der die Welt
nicht mehr die gleiche ist. Doch ist dies dann eine andere Art von
Wunder, ein Wunder, das nicht mehr die göttliche Allmacht darstellt,
sondern: "In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens
die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik. (...) Die
Ausnahme (...) denkt das Allgemeine mit energischer Leidenschaft."8
Der Ausnahmefall beschreibt bei Schmitt eine politische Grenzerfahrung,
die sich einem vorausschauenden, steuernden Zugriff entzieht. Derjenige
(für Schmitt immer eine Person), der diesen Fall entscheidet (=
fest-stellt), erlangt Souveränität, durch diese Welt - und in dieser
Welt. Der Bezug zum Theologischen ist hier eben nicht dekretiert,
wie Blumenberg meint, sondern metonymisch hergestellt worden.
Die Text-Diskussion zwischen Blumenberg und Schmitt wurde in einem
zweiten Text Carl Schmitts (Politische Theologie II) aus
dem Jahre 1969 fortgeführt. Dort wirft er - in der argumentativen
Linie des 1922 Gesagten - Blumenberg folgendes vor: "Wenn es streng
gesetzmäßig zugeht, Ausnahmen perhorresziert, Mutationen verdächtig,
Wunder geradezu Sabotageakte sind, dann liegt die Frage nahe, woher
denn bei solcher Gesetzmäßigkeit das ununterbrochene Neue kommen
soll. Doch würde diese Frage den Sinn der Ablehnung von Wunder,
Ausnahme, Voluntarismus und Dezisionismus nicht treffen. Im Grunde
geht es Blumenberg um die Selbstermächtigung des Menschen und um
die Wißbegierde des Menschen. Von dieser sagt er ausdrücklich, daß
sie ‚im Grunde rechtfertigungsunbedürftig' ist."9
Schmitt - bei aller Vorsicht, die er bei seinem Argument walten
läßt - sieht durch die Rechtfertigungsunbedürftigkeit die
Gefahr "schärfster Aggressivität" des "entfesselten Neuen", das
keinerlei Hegung zulasse, ja, das sämtliche Eingriffe durch bloßen
Verweis auf seine pure Selbsterzeugung zurückstoßen werde. Die Stoßrichtung
dieses Verweises scheint mir klar zu sein. Er zielt auf totalitäre
Bewegungen, die immer antreten, das Alte "an der Wurzel" auszureißen
und die darin eine innere moralische Berechtigung zum Massenmord
gesehen haben.
Daher geht Blumenberg in einer weiteren Replik auf diese Kritik
Schmitts auch ein und sagt, daß es ihm nicht um Selbstermächtigung
gehe, sondern um die "nachmittelalterliche Selbstbehauptung"
sowie darum, "die Folgen dieses Alarms der Selbstkonsolidierung
zu tragen."10
In der Diskussion der beiden Männer wird nun, und das finde ich
bemerkenswert, ein Terminus übersehen, oder, in den Begriffen einer
symptomatischen Lektüre ausgedrückt, "vergessen": Selbstbemächtigung.
Damit hätte deren Diskussion einen demokratischen Ausgang nehmen
können.
Selbstbemächtigung beginnt mit dem je verschiedenen Verlassen des
Gehäuses der Abhängigkeit und Bevormundung, ein Verlassen aus eigener
Kraft. Subjekte erkämpfen neue Ressourcen zur Gestaltung des eigenen
Lebens und bemächtigen sich ihrer Stärken. Dieser Prozeß ist nicht-teleologisch
und daher unabschließbar.
Doch anders als in der psychosozialen Praxis, wo Selbstbemächtigung
als "Empowerment" für das Klientel psychosozialer Arbeit verstanden
wird, das professionelle Begleitung erfordere, hat dieser Begriff
in der Demokratietheorie eine politische Konnotation. Er müßte sich
hier nicht nur auf persönliche Konstitutionen und Lernprozesse beziehen,
sondern auch auf das Institutionengefüge, das ja die faktischen
Möglichkeiten zur Artikulation und Durchsetzung bereitstellt.
Selbstbemächtigung zielt also auf andere Formen von Demokratie,
die nicht nur das Bestehende ergänzen, sondern es durch andere demokratische
Praktiken in Frage stellen.
Somit stellt sich im Rahmen dieser Überlegungen die Frage nach der
dominanten Form der liberalen Demokratie: dem Nationalstaat.
4. Aleatorischer Charakter der Nation
Souveränität hat in Europa historisch die Form der Nation angenommen.
Diese Form ist jedoch weit davon entfernt, natürlich zu sein - und
sie war auch jeweils nur eine unter anderen Möglichkeiten.
In einem kleinen Text über Niccolo Machiavelli, der auf einem Vortrag
bei der Französischen Vereinigung der Politischen Wissenschaft basiert,
betont Louis Althusser die Intensität von Gewalt, die in Europa
bei der Gründung von Nationalstaaten aufgewendet worden ist. "Wir,
die wir heute Machiavelli lesen - wie gut wir auch inzwischen über
die Gewalttätigkeiten der Geschichte informiert sein mögen - werden
von etwas in ihm ergriffen: Hier stehen wir vor einem Mann, der
(...) die Fähigkeit besitzt, diese Gewalt im Geburtsakt des Staates
zu denken und nicht bloß zu erleben oder zu ertragen. Machiavelli
taucht damit die Anfänge unserer eigenen Zeit, der Zeit der bürgerlichen
Gesellschaftsformationen, in ein grausam grelles Licht."11
"The birth of a nation" ist historisch das Ergebnis von kriegerischen
Auseinandersetzungen, Revolutionen und Konterrevolutionen. Am Fundament
der modernen Nation liegen Leichenberge. Die Geschichtsbücher sind
voll von entsprechenden Beispielen, man muß sie nur genau rezipieren.
Im kollektiven Gedächtnis jedoch geht die Erinnerung an diese Ereignisse
langsam verloren - oder wird in öffentlich organisierten, heroisch-pathetischen
Erinnerungsakten ritualisiert und verdeckt.
Wirkt sich die initiale Gewalt aber im weiteren Verlauf der Nation-Werdung
und des Nation-Seins aus? Auf der Oberfläche des politischen Lebens
ist sie gebannt. Aber wenn wir an Sigmund Freuds Figur der "Wiederkehr
des Verdrängten" denken, so läßt sich vermuten, daß diese Gewalt
in verwandelter Form wiederauftaucht.
Eine dieser Formen hat Michel Foucault in einer der Vorlesungsreihen,
die der Politik gewidmet waren, ausführlich dargestellt. Es ist
der Diskurs des Rassenkrieges, der von den unterlegenen Gruppen
- wie den französischen Aristokraten oder den preußischen Junkern
- im 18. und 19. Jahrhundert ausgespielt worden ist. Darin wird
die grundlegende Gewalt als Sieg und Niederlage erwähnt, es wird
das in den Gesetz- und Geschichtsbüchern eingetrocknete Blut hervorgehoben
und darauf bestanden, daß "die" Nation auf einer grundlegenden Spaltung
beruht: Wir und Die-da.
Die initiale Gewalt zeigt sich nicht in einem großartigen Revancheakt,
wo die Unterlegenen blutig zurückschlagen, sondern in Form untergründiger
Diskurse und leidenschaftlicher gesellschaftlicher Kämpfe, die dadurch
indirekt das Werden der modernen Mächte bestimmen. Aus der Rekonstruktion
des Diskurses des Rassenkampfes innerhalb eines Nationen-Staates
leitet Foucault nämlich die Entstehung des modernen Staatsrassismus
ab, der als Antwort eine Verstaatlichung und Zentrierung des Rassenkampfes
leistet.12
Doch ist die Erkenntnis des gewalttätigen Charakters der Entstehung
der europäischen Nationalstaaten nur ein Teil der Althusserschen
These: "Zugleich wirft er [= Machiavelli] - gerade durch seinen
Utopismus, seine ebenso notwendige wie undenkbare Vorannahme, der
neue Staat könne an jedem beliebigen Ort seinen Anfang nehmen -
ein grelles Licht auf den aleatorischen Charakter der Bildung
von Nationalstaaten. Denn für uns sind sie wie auf ewig fixiert
auf der Landkarte eingezeichnet, als Ergebnis einer schicksalhaften
Vorbestimmung. Für ihn sind sie dagegen großenteils zufällig: Ihre
Grenzen sind nicht festgelegt, Eroberungen sind erforderlich - aber
bis wohin sollen sie gehen? Bis zu den Sprachgrenzen oder darüber
hinaus - oder vielleicht einfach bis zu den Grenzen der eigenen
Kraft?"13
Das Attribut "aleatorisch" bedeutet hier mehr als nur den Verweis
auf die bloße Unvorhersehbarkeit des Entstehens einer Nation. Es
ist ein theoretischer Begriff, den Althusser in Texten aus den 1980er
Jahren wiederaufgenommen und bis auf die antike griechische Philosophie
zurückgehend weiter ausgeführt hat. Aleatorischer Materialismus
unterscheidet sich vom späteren dialektischen Materialismus dadurch,
daß eine völlig offene Struktur angesetzt wird, durch ein Analyseverfahren,
in dem Begriffe wie Notwendigkeit, Zielgerichtetheit und reine Funktionalität
aufgegeben werden zugunsten des Ereignisses, das unerwartet eintreten
kann, und das als solches strukturbestimmend ist -"alles ist im
aleatorischen Materialismus festgelegt, aber nachträglich (après
coup) festgelegt."14
Die inneren und äußeren Grenzen einer Nation lassen sich dabei durchaus
als Grenzen der eigenen Kraft im Verhältnis zu den anderen, entgegenwirkenden
Kräften verstehen. Dabei existiert keinerlei Regel, die im vornhinein
greifen würde.
Wir finden hier - doch das ist vorerst eine Hypothese - eine materialistische
Entsprechung zum Wunder bei Carl Schmitt. Dieser hat in seinen späteren
Schriften mit der Freund-Feind-Stellung als zentralem Merkmal des
Politischen die durch das Wunder und den Ausnahmefall bewirkte Öffnung
streng reguliert; ebenso zeigt sich im dialektischen Materialismus
und am Beispiel der real-sozialistischen Staaten und ihrer Praktiken
eine vergleichbare Zentrierung und Totalisierung. Der dialektische
Prozeß wird zielgerichtet gemacht, so daß er historisch an einen
Endpunkt gelangen kann.
Etienne Balibar hat in den 90er Jahren den Althusserschen Faden
des aleatorischen Charakters der Nationalstaaten wiederaufgenommen
und weiter ausgeführt. Das Werden der Nationen wird hier ebenfalls
als aleatorisches Ereignis beschrieben, doch in der Folge wird die
Gleichsetzung von nationaler Form und politischer Souveränität als
Element einer imperialistischen Struktur analysiert.15
Daß wir uns als Nationalstaaten konstituieren, ist also materiell
kein Produkt eines freien Vertrages, eines Übereinkommens oder einer
offenen Diskussion. Es ist das zufällige Ergebnis des Einsatzes
von intensiver Gewalt, das eine Struktur mit Ablaufdatum begründet
hat. Kennzeichen dieser Struktur ist die Gleichsetzung von Nation
und Volk, die in eine Begründung imaginärer Gemeinschaftlichkeit
mündet.
Das führt uns zu der nächsten Frage, inwieweit das Ablaufdatum dieser
politischen Verfaßtheit erreicht ist - und welche Alternativen sich
aus heutiger Sicht ergeben. Damit fragen wir nach den theoretischen
Ursachen der momentanen Krise der Souveränität, die auch eine Krise
der demokratischen Repräsentation ist.
5. Krise der Souveränität - Krise der Repräsentation
Die Art und Weise der demokratischen Repräsentation in den liberalen
Nationalstaaten ist direkt mit der Einsetzung der Volkssouveränität
verbunden. Die Nation schafft sich im Zuge ihrer Existenz "ihr"
Volk; diesen Umwandlungsprozeß beschreiben Antonio Negri und Michael
Hardt in Empire anhand ihres Gegenbegriffs, dem der Menge.
"Die Menge [Multitude] ist eine Vielfalt, ein Feld von Singularitäten,
ein offenes Beziehungsgeflecht, das nicht homogen oder mit sich
selbst identisch ist, sondern ein indistinktes, einschließendes
Verhältnis zu denen, die außerhalb stehen, besitzt. Im Gegensatz
dazu neigt das Volk zu Identität und Homogenität nach innen, indem
es den Unterschied zu und den Ausschluß der Außenstehenden betont.
Während die Menge eine unabgeschlossene konstituierende Beziehung
ist, bildet das Volk eine festgefügte Synthese, die zur Souveränität
bereit ist. Das Volk verfügt über einen Willen und eine
Handlung, die unabhängig sind von den vielfältigen Willensäußerungen
und Handlungen der Menge und häufig sogar mit diesen in Konflikt
geraten. Jede Nation muß deshalb die Menge zu einem Volk machen."16
Das Ein-Volk-Machen, das Negri und Hardt im Rückgriff auf Hobbes
als Zentrierung der Menge beschreiben, funktioniert tatsächlich
als ein Prozeß der Zurichtung und Disziplinierung - nicht nur beim
Militär, sondern auch in den Bildungs- und Kulturinstitutionen -,
es versinnbildlicht sich in Form von Mythen und den großen und kleinen
Erzählungen der blühenden nationalen Literatur, und es geht mit
einer markanten sprachlichen Zentrierung einher ("Bildung der Nationalsprachen")
sowie mit einer nationalen Religion und einem entsprechenden Denkstil.
Politisch steht im Zentrum einer liberalen Staatsorganisation der
Gedanke der Repräsentation. Dem Gedanken nach fungiert das Volk
einer Nation zugleich als Gesetzgeber und als sein eigener Untertan,
ein permanenter prozessierender Widerspruch, der sich nur in Bezug
zu einem ausgeschlossenen Dritten zeitweise stillstellt: in Bezug
zum Gesetz.
Demokratische Repräsentation, so wie wir sie in den parlamentarischen
Demokratien in Westeuropa bis heute kennen, ist eine Kompromißform
zwischen den beiden Polen der permanenten Revolution und einer Form
der Diktatur, die sich bloß symbolisch als Volkssouveränität deklariert.
Repräsentation: daß ein ausgewähltes Individuum eine Menge darstellt,
in die es zugleich eingeschlossen ist - dieser Mechanismus ist das
Herzstück des modernen Liberalismus. Damit das aber im politischen
Leben funktionieren konnte, brauchte es stabile und umgreifende
Gruppenidentitäten als soziale Voraussetzung. Diese leiteten nicht
nur die Entscheidungen der Einzelnen, sondern verliehen den demokratischen
Prozeduren von geheimer und freier Wahl, Mandat und Delegation Bedeutung.
Der Gewählte blieb in einem groben, aber dennoch gemeinsamen Rahmen
mit den ihn Wählenden verbunden und konnte daher relativ glaubhaft
behaupten, daß er ihre Interessen auch am zumeist fernen Ort der
Macht vertreten würde. Zugleich stand er für die ferne Macht, die
die Wählenden an ihn übertragen hatten. Er war also nicht nur an
ihrer Statt dort, er repräsentierte diese Macht auch ihnen gegenüber.
Diese Übertragung ist in unseren Demokratien seit einiger Zeit gestört.
Der Begriff Populismus bezeichnet dabei die vielen (programmatisch
unterschiedlichen) politischen und sozialen Bewegungen und Aktivitäten,
die das Porös-Werden dieser liberal-demokratischen Kohärenz mit
herbeigeführt haben und die weiterhin am Werke sind. Unentwegt wird
- in den interessierten Medien, im Alltagsgespräch und von konkurrierenden
Parteien - die Entfremdung der Politiker von den Wählenden zum Thema
gemacht und skandalisiert. Diese Tendenz geht weit über rechte Grüppchen
hinaus, die auf diese Weise versuchen, Stimmen zu maximieren. Politiker
mit Verfehlungen zu entdecken, das ist zur Zeit eine beliebte Beschäftigung;
von Fall zu Fall werden Menschen ausgemacht, auf die das Schlechte
der Welt projiziert wird. Man mißgönnt ihnen das, was sie haben
und was sie sind, aus dem einzigen Grund, weil man es selber nicht
besitzt oder tut. Dieses Ressentiment ist die moralische Triebkraft
der populistischen Aktivität inmitten unserer Gesellschaften, die
auf die Errichtung einer Neuen Ordnung zielt - deren Umrisse wir
jetzt vielleicht schon zu erkennen vermögen. Sie nährt sich von
der Mobilisierung und von der auf sie notwendigerweise folgenden
Trägheit des Volkes zugleich.
Bilanz
Meine Überlegungen zur Gegenüberstellung von Liberalismus und Fundamentalismus
haben auf Seiten des Liberalismus drei kritische Erträge ergeben,
die einer weiteren Untersuchung bedürfen: Selbstbemächtigung, Aleatorik
und Menge.
Vor ihrem Hintergrund jedenfalls erscheint die Gegenüberstellung
Liberalismus vs. Fundamentalismus als eine Freund-Feind-Konstellation,
die das Politische an beiden Polen gewaltsam schließt und demokratische
Ausgänge versperrt.
Natürlich können wir beim gegenwärtigen Stand der Dinge in den fundamentalistischen
Bewegungen wenig demokratische Potentiale erkennen. Das gilt aber
auch umgekehrt, wenn Demokratie verordnet und mit Panzergewalt durchgesetzt
wird. So sind beispielsweise nach herrschender Meinung die angekündigten
Wahlen im Irak nur möglich, wenn das Land weitgehend gesäubert und
militärisch kontrolliert werde. Die demokratischen Institutionen
erscheinen somit als bloße Legitimationsmaschinen ohne demokratischen
Inhalt.
Diese ideologische Schließung funktioniert trans-national und absolut,
da sie einen weltweiten moralischen Feind konstruiert, der eliminiert
werden müsse, um liberale Demokratie in Gang zu halten. Somit wird
ein permanenter gesellschaftlicher Ausnahmezustand erklärt, der
"Krieg gegen den Terror", der unser Leben formt und die politischen
Alternativen institutionell und diskursiv einschränkt.
Jedenfalls hat sich seit 1989 das Gesicht liberaler Demokratie radikal
verändert. Unsere Aufgabe ist es, diese Umbrüche zu benennen und
neue demokratische Subjekte und Praktiken zu entdecken. Vielleicht
gibt es ja auch in Palästina, in Iran und in Irak eine relevante
Menge, die ihr Leben demokratisch organisieren will - und kann.
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Anmerkungen
1 Laclau, Ernesto (1988):
Die Politik als Konstruktion des Undenkbaren, in: kultuRRevolution
17/18, Diskurs-Macht-Hegemonie, Essen, S. 57f.: Ein Diskurs "kann
nur die Bedingungen der Denkbarkeit bestimmter Objekte konstituieren
durch die Konstruktion der Undenkbarkeit anderer Objekte. Wir können
so von der diskursiven Intervention sprechen, d. h. der Politik
als dem Prozeß der Konstruktion des Undenkbaren."
2 Vgl. Claessens, Dieter (1992): Kapitalismus und politische
Kultur, Frankfurt/M., S. 190: "Demokratie, die offenbar nur im und
durch den Kapitalismus möglich war, überdauerte nur, wenn sie in
ihm strukturelle Bedingungen fand, die ihr günstig waren."
3 Schmitt, Carl (1922/34): Politische Theologie. Vier
Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München, S. 43.
4 Ebenda.
5 Vgl. Kallscheuer, Otto (1994): Gottes Wort und Volkes
Stimme. Glaube. Macht. Politik, Frankfurt/M.
6 Blumenberg, Hans (1996): Die Legitimität der Neuzeit.
Erneuerte Ausgabe, Frankfurt/M., S. 106.
7 Schmitt, Carl (1922/34): A. a. O., S. 43.
8 Ebenda, S. 21.
9 Schmitt, Carl (1996): Politische Theologie II. Die
Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, Berlin,
S. 88.
10 Blumenberg, Hans (1996): A. a. O., S. 108.
11 Althusser, Louis (1987): Machiavelli. Montesquieu.
Rousseau (= Schriften 2), Hamburg-Berlin, S. 24f.
12 Vgl. Foucault, Michel (1999): In Verteidigung der
Gesellschaft, Frankfurt/M., S. 276-305.
13 Althusser, Louis (1987): A .a. O., S .25.
14 Negri, Antonio: Anmerkungen über die Entwicklung des
Denkens beim späten Althusser, in: episteme 1, http://www.episteme.de/Negri.html.
15 Balibar, Etienne (2003): Sind wir Bürger Europas?
Hamburg, S. 231ff.
16 Hardt, Michael & Antonio Negri (2002): Empire. Die
neue Weltordnung, Frankfurt/M., S. 116f.
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