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Existenz
als Experiment: Zur Philosophie Friedrich Nietzsches
von
Caroline Heinrich
Der Himmel bewahre Euch
vor dem großen Haufen
der Durchschnittsmenschen,
vor denen, die kalten Herzens und
kalten Verstandes sind, die weder
rauchen noch trinken noch fluchen,
die keiner kühnen Tat der
Leidenschaft, der Liebe und des
Hasses fähig sind, weil ihre
schwachen Nerven nie den Stachel,
das Feuer des Lebens spürten, dieses
Feuer, das sie über alle Grenzen
hinaustreibt und teuflisch und kühn
macht. Diese Leute trifft man nicht
in den Kneipen, sie ziehen nicht
freudig in den Kampf um verlorene
Güter, lodern nicht auf den Pfaden
des Abenteuers und lieben nicht wie
die trunkenen, tollen Lieblinge
Gottes. Sie kennen nur die Sorge für
ihre trockenen Füße, sie achten
ängstlich auf ihren Herzschlag und
schaffen sich ohne einen Funken von
Liebe in ihrem kleinen Herzen durch
ihre geistige Mittelmäßigkeit
kleine Triumphe.
Jack London
Nietzsche ist kein Philosoph, der es einem leicht
macht, ihn zu verstehen, und so scheint es fast unmöglich zu sein,
in einem kurzen Artikel wesentliche Grundzüge seines Denkens aufzuzeigen.
Ich will dies dennoch versuchen - vielleicht in der vagen Hoffnung,
daß viele von denen, die über ihn reden, endlich beginnen werden,
ihn zu lesen.
An einem Beitrag von Ulrich Busch, veröffentlicht in der UTOPIE
kreativ, kann abgelesen werden, daß die Rezeption Nietzsches
in der DDR so verlaufen ist, wie sie durch Georg Lukács' Methode,
"als `Beweis´ für dessen Rolle als Vorläufer und Ideenspender des
Faschismus vor allem Zeugnisse des Mißbrauchs Nietzsches durch die
Nationalsozialisten [anzuführen]"1, vorgemacht worden
war; eine offizielle Beschäftigung mit Nietzsches Werk blieb in
der DDR weitgehend aus. Als sich dies in den 80er Jahren zaghaft
ändern sollte - zaghaft insofern, als in erster Linie die Frage
nach der Aufnahme Nietzsches in das kulturelle Erbe der DDR diskutiert
wurde - sah der sich selbst als Querdenker bezeichnende Wolfgang
Harich die "Identität der DDR aufs Spiel"2 gesetzt. Er
wiederholt die Meinung, Nietzsche sei der "Urfaschist"3
schlechthin gewesen, nun im Habitus desjenigen, der die vom Virus
des Nietzscheanismus befallene DDR-Führung und ihre Intellektuellen
noch einmal mit der reinen Wahrheit konfrontiert.
In dem zum 100. Todestag von Nietzsche erschienenen Artikel Blonde
Bestie umarmt Droschkengaul von Gerhard Scheit spricht dieser
gar davon, daß "Nietzsche den Begriff der Rasse [ästhetisiert],
um ihn zur Mobilisierung im nationalen Sinne zuzurichten"4,
und stellt fest, daß "Nietzsches Philosophie vom Ekel vor den Juden
gekennzeichnet"5 sei. (Warum also Nietzsche die Antisemiten
dann attackiert, wie Scheit selbst bemerkt, stellt sich ihm noch
nicht einmal als Frage.)
Gerhard Zwerenz verdächtigt Nietzsche zwar nicht des Antisemitismus,
er erkennt Nietzsches Ablehnung der Deutschtümelei, zugleich meint
er jedoch, daß Nietzsche "den Weltfrieden durch einen letzten Welt-
und Vernichtungskrieg"6 erstrebt habe und findet sogar
zu der Formulierung: "Und wenn er die Judenfeindschaft noch so bekämpfte,
sein Übermensch schoß als kommandierender Herrenmensch in den Mordkommandos
[des NS-Faschismus] mit [...]."7
Selbst die Ablehnung der Deutschtümelei kann Harich aber wiederum
nicht überzeugen: "Ich bestreite nicht, daß wir Deutschen allen
Grund haben, viel Verständnis dafür aufzubringen, wenn von Faschismus
und Krieg Betroffene auf uns `nicht gut zu sprechen´ sind. Aber
erstens ist auch in diesem Fall die Neigung zu pauschaler Verurteilung
kein Vorzug. Zweitens gibt [man] sie als Vorzug aus bei Nietzsche,
der, abgesehen davon, daß er selber Deutscher war, in einer Zeit
gelebt hat, in der noch gar kein Grund bestand, speziell `den´ Deutschen
ablehnend gegenüberzustehen. Und drittens hat Nietzsche daran, daß
sich das später ändern sollte, sein gerüttelt Maß Schuld [...]."8
Diese "Argumentation" scheint mir typisch für die Nietzsche-Rezeption
der dogmatischen und teilweise auch der undogmatischen Linken zu
sein: zunächst wird bestritten, daß die Ablehnung der Deutschen
(gemeint ist hier bei Nietzsche immer die Ebene der Politik und
Kultur) ein Vorzug sei, dann wird behauptet, daß in der Zeit Nietzsches
ja auch gar kein Grund zur Skepsis bestanden habe, um ihm dann vorzuwerfen,
daß er aber an dem, was dann kommen sollte, Schuld gehabt hätte.
Was denn nun? Vielleicht hat es in der Zeit Nietzsches eben sehr
wohl Grund gegeben, "den" Deutschen ablehnend gegenüberzustehen.
Dann aber müßte man Nietzsches Philosophie eine prognostische Sicht
zugestehen: durch Nietzsches Kennzeichnung der Sklavenmoral kann
die nazistische Ideologie des Rassismus auf ihr wesentliches Grundmoment
zurückgeführt werden: das des Ressentiments. Daß vielleicht erst
Nietzsches Theorie des Ressentiments den Grundstein für die Erkenntnis
der Funktionslogik rassistischen, nazistischen Denkens legt, ist
zweifellos für jemanden, dem es auf die Diskreditierung Nietzsches
als Vorläufer der Nazis ankommt, eine unmögliche Vorstellung.
"Bei den NS-Führern", schreibt Hans-Martin Gerlach, "wird N. eindeutig
politisch-ideologisch instrumentalisiert, ohne eine nachweisliche
nähere Sachkenntnis seines Schaffens. Schlagworte werden aus dem
aphoristischen Werk herausgerissen, interessengeleitet aufbereitet,
[…] eindeutig zurechtgeschnitten und so direkt verfälscht."9
Walter Kaufmann zeigt diese Methodik der "unverschämte[n] Nietzsche-Rezeption
der Nazis"10 an zahlreichen Beispielen auf11,
die für ihn "zu den dunkelsten Seiten in der Geschichte literarischer
Skrupellosigkeit gehört."12 Nietzsche als Faschisten
und Antisemiten zu geißeln, würde demnach bedeuten, den Nazis bereitwillig
zu glauben, daß sie in ihrer Auslegung so falsch nicht haben liegen
können.
Da verwundert es um so mehr, wenn der Anspruch einiger Linker nach
wie vor zu sein scheint, daß, wer sich mit Nietzsche beschäftigen
will, die Perspektive von Lukács einzunehmen habe. Dabei hat bereits
Theodor W. Adorno frühzeitig Lukács' Kritik an Nietzsche abgeurteilt:
"Nietzsche und Freud wurden ihm [Lukács] schlicht zu Faschisten,
und er brachte es über sich, im herablassenden Ton eines Wilhelminischen
Provinzialschulrats von Nietzsches `nicht alltäglicher Begabung´
zu reden. Unter der Hülle vorgeblich radikaler Gesellschaftskritik
schmuggelte er die armseligsten Clichés jenes Konformismus wieder
ein, dem die Gesellschaftskritik einmal galt."13
Weil die Nazis noch nicht einmal Ideen Nietzsches "mißbraucht",
sondern ganz einfach Begriffe von ihm übernommen und in alte Zusammenhänge
gestellt haben, indem sie Nietzscheanische Kategorien in Gobineausche
rückübersetzten, muß dieses Verfahren, will man Nietzsche gerecht
werden, wieder umgekehrt werden. Wie notwendig dieses Verfahren
ist, zeigt sich daran, daß es genau die nationalsozialistische Rückübersetzung
ist, die uns heute ein Verständnis Nietzsches erschwert. Wenn Nietzsche
beispielsweise von "Rasse" spricht, denken wir heute an den schon
im 19. Jahrhundert durch die biologistischen Theorien entstandenen
"biologischen" Rassebegriff, durch den es den Nazis möglich schien,
schließlich auch von einer "jüdischen Rasse" zu sprechen. Nietzsche
jedoch meint, wenn er von Rasse spricht, etwas ganz anderes damit:
eine Sorte, einen Typus von Mensch mit bestimmten Haltungen und
Einstellungen, in etwa so, wie man heute einfach vom Spießer und
nicht etwa von der "spießigen Rasse" redet. Darauf wird noch zurückzukommen
sein.
Man muß bei der Beschäftigung insbesondere mit Nietzsche also sehr
genau lesen, um herauszufinden, welche Konnotation die von ihm verwendeten
Begriffe besitzen und wie sie sich zu Begriffskonstellationen zusammenfinden.
Dabei ist zunächst einmal grundsätzlich davon auszugehen, daß sich
von ihm getroffene Aussagen nicht widersprechen, sondern daß hier
ein extrem systematisches Denken vorliegt. Mit dieser Grundeinstellung
wird es vielleicht möglich sein, von den Verurteilungen Nietzsches
abzurücken: Denn Nietzsche ist weder Kriegstreiber, Verteidiger
der bürgerlichen Gesellschaft noch Antisemit oder Sozialdarwinist
- oder wie sonst die Bezeichnungen noch lauten mögen. Und: Auch
die letzten Werke Nietzsches sind nicht vom Wahnsinn gezeichnet14;
aus diesem Grunde werden auch späte Texte Nietzsches Berücksichtigung
finden.
Im folgenden soll versucht werden, einige wesentliche Aspekte von
Nietzsches Philosophie darzustellen. Zunächst ist zu zeigen, woran
sich Nietzsches Metaphysikkritik entzündet, wie der "Wille zur Macht"
zu begreifen ist und was Nietzsche unter "Starken" und "Schwachen"
versteht. Anschließend soll auf den Zusammenhang von Nihilismus,
"Umwertung der Werte" und der Konzeption des Übermenschen eingegangen
werden.
In einem ersten Exkurs soll ein kurzer Vergleich zwischen der Hegelschen
und der Nietzscheanischen Bejahung zeigen, daß das dialektische
Prinzip mit dem Denken der Differenz Nietzsches nicht vereinbar
ist. Warum Nietzsche kein Rassist und Antisemit ist, wird in einem
weiteren Exkurs kurz dargestellt.
1. Die Frage nach Wahrheit als Kernproblem
der Metaphysik
Nietzsche ist der Überzeugung, daß es die
Wahrheit nicht gibt; jede Wahrheit ist ein "Für-Wahr-Halten-Wollen"15
und somit immer schon ein Glaube. Die Frage "Was ist Wahrheit?"
verwandelt Nietzsche in die Frage, welche Kräfte wollen, daß etwas
Wahrheit genannt werde. Nietzsche destruiert den Glauben an die
eine Wahrheit, indem er die Gleichsetzung des Nichtgleichen, die
Ineinssetzung des symbolischen Systems der Sprache mit dem, was
wir Realität nennen, aufzeigt: "Nur durch das Vergessen jener primitiven
Metapherwelt, nur durch das Hart- und Starr-Werden einer ursprünglich
in hitziger Flüssigkeit aus dem Urvermögen menschlicher Phantasie
hervorströmenden Bildermasse, nur durch den unbesiegbaren Glauben,
diese Sonne, dieses Fenster, dieser Tisch sei eine
Wahrheit an sich, kurz nur dadurch, dass der Mensch sich als Subjekt
und zwar als künstlerisch schaffendes Subjekt vergisst, lebt
er mit einiger Ruhe, Sicherheit und Consequenz [...]."16
Der Glaube, daß die Sprache mit der Realität gleichzusetzen sei,
beruht für Nietzsche auf dem häufigen Gebrauch der Bilder: "Was
ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien,
Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen,
[…] die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich
dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen
hat, dass sie welche sind [...]."17 Die ursprüngliche
ungeheure Bildphantasie wurde in Begriffe eingeschmolzen, man vergaß
deren metaphorische Ebene, man vergaß die Herkunft, oder, anders
ausgedrückt, die Historizität der Begriffe selbst. Im Grunde genommen
wurde ein Automatismus - hervorgerufen durch die immer gleiche Methode,
"die anschaulichen Metaphern zu einem Schema zu verflüchtigen, also
ein Bild in einen Begriff aufzulösen"18 - zur ansichseienden
Wahrheit erklärt.
Was aber resultiert aus dem Vergessen, daß Sprache aus dem Bilderreichtum
der Phantasie geschaffen wurde? Die Annahme einer Objektivität,
die ohne Hinzutun des Subjekts existiert. Die Möglichkeit eines
vernunftbegabten Erkennens, das - anders als die Phantasie, die
ständig Neues erfindet - zu ewigen Wahrheiten führt.
Daß ein Begriff einen Sachverhalt in seiner Wahrheit wirklich treffen
könne, kann also nur behaupten, wer den "canonisch" gewordenen,
d. h. konventionellen Charakter der Sprache ignoriert. Und tatsächlich
könnte man fragen, was die Buchstaben k,a,t,z,e in ihrer Zusammenstellung
mit jenem süßen Wesen zu tun haben. Heutzutage nichts mehr, wäre
Nietzsches Antwort. Was wir also Wahrheit nennen, wenn wir zu einem
miauenden Etwas "Katze" sagen, betrifft nur den "richtigen" Gebrauch
der Sprache.
Die Konventionalität der Sprache täuscht uns aber in noch ganz anderen
Hinsichten - beispielsweise durch die Strukturen der Grammatik:
"Die Trennung des `Thuns´ vom `Thuenden´, des Geschehens von einem
, das geschehen macht, des Prozesses von einem Etwas, das
nicht Prozeß, sondern dauernd, Substanz, Ding, Körper, Seele usw.
ist, - der Versuch das Geschehen zu begreifen als eine Art Verschiebung
und Stellungs-Wechsel von `Seiendem´, von Bleibendem: diese alte
Mythologie hat den Glauben an `Ursache und Wirkung´ festgestellt,
nachdem er in den sprachlichen grammatikalischen
Funktionen eine feste Form gefunden hatte."19 Die Grammatik
z. B. des Deutschen, die zu jedem beliebigen Prädikat ein formal
einheitliches Subjekt setzt - beispielsweise im "Ich denke" - wird
auf die Realität selbst übertragen, so daß der Glaube entsteht,
das Ich selbst sei der Urheber des Denkens.
Die Annahme, im Besitz der Wahrheit zu sein, resultiert für Nietzsche
daher zunächst aus einer ungerechtfertigten Übertragung, bei der
die Ordnung der Grammatik in eine Ordnung der Realität überführt
wird. Den Glauben an die eine Wahrheit weist Nietzsche als ein Erbe
der Metaphysik aus: "Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil
wir noch an die Grammatik glauben..."20
Die Metaphysik beruht auf diesen Verwechslungen und Täuschungen:
Sie kann Geschehen und Prozesse nicht fassen, ohne sie immer auf
eine Ursache, ein Gesetz, einen Ursprung, einen
Zweck zurückzuführen. Das metaphysische Denken ist ein Denkprinzip:
Egal, ob ein Gott die Welt erschaffen hat21 oder
das Grundübel der Welt in einer Formel "10 Stiefelwichsbüchsen
= 1 Rock" beschlossen liegen soll, immer wird das Viele auf das
Eine zurückgeführt in der Hoffnung, daß "das An-sich der Dinge nach
diesem Recepte eines Muster-Beamten sich verhält."22
Sein, Wille, Vernunft, Gott, Ich, Substanz, Ding, Natur: alles nur
Fiktionen, mit denen wir unsere Welt fest-stellen und ordnen; immer
entsprechend der grammatischen Funktion von Subjekt und Prädikat,
die wir als wahrhaftiges, wirkliches Gesetz von Ursache und Wirkung
mißverstehen.
Rekapitulieren wir: Es gibt nach Nietzsche nicht die Wahrheit,
aber ein "Für-Wahr-Halten-Wollen", also den Willen zur Wahrheit.
Wie paßt das zusammen? Wie muß man sich diesen Willen denken, ohne
ihn als einheitlichen, mit sich gleichbleibenden Willen zu verstehen?
Um die Antwort vorwegzunehmen: Der Wille zur Wahrheit ist eine Form
des Willens zur Macht. Bevor ich also weiter erläutern werde, woran
sich die Kritik an der Metaphysik bei Nietzsche entzündet, muß erst
geklärt werden, was es mit diesem Willen zur Macht auf sich hat.
2. Wille zur Macht
Wille kann sich nur über einen anderen Willen vollziehen:
"`Wille´ kann natürlich nur auf `Wille´ wirken - und nicht auf `Stoffe´
(nicht auf `Nerven´ zum Beispiel -): genug, man muss die Hypothese
wagen, ob nicht überall, wo `Wirkungen´ anerkannt werden, Wille
auf Wille wirkt [...]." Es sind Kräfte, die aufeinander wirken.
Der Wille ist ein Vermögen, zu affizieren oder selbst affiziert
zu werden. "Die Macht ist das, was im Willen will."24
Nietzsche unterscheidet zwei Qualitäten des Willens: Bejahung und
Verneinung. In diese Qualitäten gehen Kräfte ein: Aktive und reaktive
("passivische"). Während die aktiven Kräfte sich ausagieren, werden
die reaktiven Kräfte von dem getrennt, was sie können könnten: "Ich
empfinde häufig `Mitleid´, wo gar kein Leiden da ist, sondern wo
ich eine Verschwendung und ein Zurückbleiben sehe hinter dem, was
hätte werden können."25
Im Willen zur Macht mischen sich diese Qualitäten und Kräfte. Dabei
ist von einem Wechselspiel, keiner Kausalität auszugehen: Die Kräfte
"determinieren" den Willen, wie der Wille Kräfte "determiniert".
Nietzsche beschreibt menschliches Verhalten in bezug auf die möglichen
Mischungen dieser Qualitäten und Kräfte, aus denen er seine Typologien
entwickelt. Da der Wille zur Macht jeden Augenblick seine bestimmende
Qualität oder die ihn bestimmenden Kräfte ändern kann, ist er von
dem, was affiziert oder was affiziert wird, nicht zu trennen. Es
gibt also nicht den Willen zur Macht.26
Macht wird in diesem Zusammenhang in einem positiven Sinne verstanden:
Sie ist ein produktives Tun, Schaffen, Erschaffen: "Der Wille zur
Macht interpretirt […]; er grenzt ab, bestimmt Grade, Machtverschiedenheiten.
[…] In Wahrheit ist Interpretation ein Mittel selbst, um Herr
über etwas zu werden."27 Der Wille zur Macht ist
- und das kann nicht oft genug betont werden - ein Vielfaches28
; er ist kein unwandelbares metaphysisches Sein, sondern ein Werden:
"Man darf nicht fragen: `wer interpretirt denn?´ sondern
das Interpretiren selbst, als eine Form des Willens zur Macht, hat
Dasein (aber nicht als ein `Sein´, sondern als ein Prozeß,
ein Werden) [...]."29 Der Mensch wird von Nietzsche als
Zusammenspiel von Kräften gefaßt. 30 Der Subjektbegriff
kann deshalb nicht mehr sein als "eine Vereinfachung, um die Kraft,
welche setzt, erfindet, denkt, als solche zu bezeichnen [...]."31
Das Interpretieren bedeutet immer zugleich, Werte zu schaffen.32
In dieser Aktivität und Produktivität zur Interpretation ist der
Mensch Herrschender. Zunächst muß man daher davon ausgehen, daß
der Wille zur Macht etwas Positives beschreibt, nämlich die Kreativität
des Menschen. Erst durch die Betrachtung der im Willen wirkenden
und ihn konstituierenden Kräfte vermag man allerdings, über die
durch ihn erzeugten Werte etwas auszusagen.
3. Zur metaphysischen Differenz scheinbar/wahr
Kommen wir zunächst zurück zu Nietzsches Kritik
an der Metaphysik. Die Frage muß jetzt lauten, welche Interpretation
der Welt durch das metaphysische Denken eigentlich geschaffen wird33
und welche Konsequenzen sie für den Menschen besitzt. Denn man könnte
schließlich auch sagen, daß die Verwechslung von Interpretation
mit Wahrheit unerheblich sei, und es für gleichgültig erachten,
daß das Viele auf das Eine reduziert wird.
Auch auf die Gefahr hin, mich zu oft zu wiederholen: Die metaphysische
Prämisse einer Suche nach Wahrheit schließt - auch wenn sie sich
davon frei wähnt - immer schon Werte ein: "Doch man wird es begriffen
haben, worauf ich hinaus will, nämlich dass es immer noch ein metaphysischer
Glaube ist, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht, - dass
auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker,
auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein Jahrtausende
alter Glaube entzündet hat, jener Christen-Glaube, der auch der
Glaube Plato's war, dass Gott die Wahrheit ist, dass die Wahrheit
göttlich ist..."34 Man braucht daher nach Nietzsche auch
nicht zu denken, daß man sich als Atheist von diesem metaphysischen
Erbe befreit sehen könne: "Der unbedingte redliche Atheismus […]
steht demgemäss nicht im Gegensatz zu jenem Ideale […]; er
ist vielmehr nur eine seiner letzten Entwicklungsphasen, eine seiner
Schlussformen und inneren Folgerichtigkeiten, - er ist die Ehrfurcht
gebietende Katastrophe einer zweitausendjährigen Zucht zur
Wahrheit, welche am Schlusse sich die Lüge im Glauben an Gott
verbietet."35
Dieser alte, metaphysische Glaube ist von der Vorstellung beseelt,
daß Gott das Gute sei. Das moralisch Gute wird an das Wahre gebunden.
Und jetzt mal ehrlich: Daß das Vernünftige das Wahre und das Wahre
das Gute sei, glauben wir das nicht immer noch? Typisches Kennzeichen
des Moralisten, würde Nietzsche sagen. Aber weiter im Text: Es wird
also angenommen, "daß eine Correlation besteht zwischen den Graden
der Werthe und den Graden der Realität [...]."36
Ein Denken, daß davon ausgeht, "daß die obersten Werthe auch die
oberste Realität hätten", beruht für Nietzsche auf einem "metaphysische[n]
Postulat".37 Die Konsequenz aus dem Umstand, daß - wie
bei jedem Glauben an die eine Wahrheit - ein moralisches Kriterium
mit einem Erkenntniskriterium zur Deckung kommt, beschreibt Nietzsche
folgendermaßen: "Das Schlimme ist - daß mit dem alten Gegensatz
`scheinbar´ und `wahr´ sich das correlative Werthurtheil fortgepflanzt
hat: geringer an Werth und absolut `werthvoll´."38
Mit dem Gegensatz "scheinbar"/"wahr" (entsprechend: falsches Bewußtsein/richtiges
Bewußtsein) werden zugleich weitere Differenzen mitgesetzt: Weil
Wahrheit nur rational erkannt werden kann, ist das "Organ" für die
Wahrheit der "Geist", der Verstand oder das Bewußtsein. Die Sinnlichkeit
- oder überhaupt das Körperliche - wird an das Unwahre verwiesen:
Sinnlichkeit und Körperlichkeit sind auf der Seite des Scheinbaren;
und da eine Korrelation "zwischen den Graden der Werthe und
den Graden der Realität" angenommen wird, folgt daraus, daß
Sinnlichkeit und Körperlichkeit als wenig wertvoll eingestuft werden.
Auch den wissenschaftlichen Glauben, daß es nur eine Wahrheit gebe,
deutet Nietzsche als eine Fortsetzung des alten metaphysischen Erbes:
""Es ist kein Zweifel, der Wahrhaftige, in jenem verwegenen und
letzten Sinne, wie ihn der Glaube an die Wissenschaft voraussetzt,
bejaht damit eine andre Welt als die des Lebens, der Natur,
und der Geschichte [...]."39 Auch der wissenschaftliche
Glaube, daß es nur eine Wahrheit gebe, kann sich also nicht von
der Degradierung alles außer ihm Stehenden als "scheinhaft" und
"unwahr" befreien; auch hier bleibt die Differenz zwischen rationaler
Wahrheit und irrationaler Sinnlichkeit bestehen: Die Suche nach
der einen Wahrheit führt notwendigerweise zur Entsinnlichung oder,
wie Nietzsche es formuliert, zur Entwertung des Lebens. Sie ist
die Umsetzung des asketischen Ideals: "Man kann sich schlechterdings
nicht verbergen, was eigentlich jenes ganze Wollen ausdrückt, das
vom asketischen Ideale her seine Richtung bekommen hat: dieser Hass
gegen das Menschliche, mehr noch gegen das Thierische, mehr noch
gegen das Stoffliche, dieser Abscheu vor den Sinnen, vor der Vernunft
selbst, diese Furcht vor dem Glück und der Schönheit, dieses Verlangen
hinweg aus allem Schein, Wechsel, Werden, Tod, Wunsch, Verlangen
selbst - das Alles bedeutet, wagen wir es, dies zu begreifen, einen
Willen zum Nichts, einen Widerwillen gegen das Leben [...]."40
Und die unheimliche Allianz zwischen Wahrheit und Moralität offenbart
sich dabei nicht zuletzt in der Festschreibung des Menschen, in
seiner Normierung: "Alle bisherigen Moralen gehen von dem Vorurtheil
aus, daß man wüßte, wozu der Mensch da sei [...]."41
Fassen wir kurz zusammen: Es gibt nach Nietzsche nicht die
Wahrheit. Die Moral behauptet dies aber, und auf diesem Glauben
basieren ihre Unterscheidungen von gut und böse. Wie die Wahrheit,
so hat aber auch das Dasein, die eigene Existenz, keinen Wert an
sich, sondern der Mensch muß den Sinn seines Daseins durch die von
ihm gesetzten Werte erst erschaffen: "Dass mein Leben keinen Zweck
hat, ist schon aus der Zufälligkeit seines Entstehens klar; dass
ich einen Zweck mir setzen kann, ist etwas anderes."42
Die Moral, die an der Prämisse von dem wahrhaft Vernünftigen als
dem Guten festhält, kann sich nicht als Interpretation der Welt
begreifen. Das hat zur Konsequenz, daß sie nicht nur etwas, was
es nicht gibt, hinterherjagt, nämlich der einen Wahrheit, sondern
auch, daß sie all die Seiten des Daseins, die als Scheinhaftes gelten,
abqualifizieren muß. Weil es aber die eine Wahrheit nicht gibt,
führt dieses Unterfangen zu nichts, anders ausgedrückt: es führt
zu einem Pessimismus und Nihilismus der Weltsicht. Anstatt also
die Voraussetzungen zu ändern, auf denen jene Suche nach Wahrheit
basiert, wird diese Suche nur unter den gleichen Vorzeichen immer
weiter vorangetrieben.43 Die Voraussetzungen zu ändern,
würde bedeuten, zu einem positiven Verhältnis hinsichtlich des Umstands
zu finden, daß jede Theorie Werte setzt, daß jedes Forschungsergebnis
nicht mehr sein kann als eine Interpretation der Welt, und daß es
schließlich darauf ankommen muß, Werte zu setzen, durch die die
menschliche Existenz nicht gerechtfertigt werden muß, sondern durch
die sie einen Sinn bekommt.
4. "man hat die Starken immer zu bewaffnen
gegen die Schwachen..."
Im Abschnitt über den Willen zur Macht ist von
Kräften, aktiven und reaktiven, und von Qualitäten, Verneinung und
Bejahung, die Rede gewesen. Im folgenden soll nun versucht werden,
diese Kennzeichnungen am Beispiel von Nietzsches Gegenüberstellungen
- Herr/Vornehmer/Starker auf der einen, Sklave/Herdentier/Schwacher
auf der anderen Seite - zu untersuchen.
(Im folgenden kann nur auf die aus den Mischungen der Kräfte abgeleitete
Typologie eingegangen werden, die sich in Dominanzen von bestimmten
Kräften zeigt. Gleichwohl gilt, daß so, wie Nietzsche den Menschen
als "Vielheit von Kräften" begreift, er auch von den Mischungen
sklavenhafter und herrenhafter Moral in einer Person ausgeht.44)
Eine Bemerkung vorweg: Es ist - und das muß mal so klar gesagt werden
- eine grandiose Dummheit, zu meinen, daß diejenigen, die Nietzsche
als die Starken bezeichnet, die tatsächlich Herrschenden wären.
Das Gegenteil ist der Fall.
In einer Textpassage, die mit "Anti-Darwin" betitelt ist, bemerkt
Nietzsche: "Was mich beim Überblick über die großen Schicksale des
Menschen am meisten überrascht ist, immer das Gegentheil vor Augen
zu sehen von dem, was heute Darwin mit seiner Schule sieht oder
sehen will: die Selektion zu Gunsten der Stärkeren […]. Gerade
das Gegentheil greift sich mit Händen: das Durchstreichen der Glücksfälle
[…], das unvermeidliche Herr-werden der mittleren […] Typen. [So]
neige ich zum Vorurtheil, daß die Schule Darwins sich überall getäuscht
hat."45 Da zeugt es nur von großer Unkenntnis, wenn Scheit
etwa bemerkt haben will, daß Darwins "Entdeckungen und Erfindungen
[…] in seinem [Nietzsches] geistigen Haushalt gewissermaßen die
Rolle des gesunden Menschenverstands [übernehmen]" und Nietzsche
aus der "Evolution eine Metaphysik der Rasse"46 mache.
Aber das nur nebenbei.
Beginnen wir mit einer genealogischen Rekonstruktion Nietzsches:
Nietzsche erkennt in der Erfindung des Monotheismus einen genialen
Schachzug, den die Priesterkaste gegen die Kriegerkaste spielte:
alles, was jene besaßen, Mut, Sinnlichkeit, "Abenteuer, Jagd, Tanz"47
, werteten die Priester aus Eifersucht negativ um: Sie forderten
mit Verweis auf ihren Gott Entsagung und Entbehrung. Die Priester
als Ordnungshüter setzten eine Moral, durch die sie ihre Herrschaft
sichern konnten: Die "extreme Angst [des Priesters] vor der Sinnlichkeit
ist zugleich bedingt durch die Einsicht, daß hier […] die
Ordnung überhaupt […] am schlimmsten bedroht ist."48
Die Priester sind zunächst also diejenigen, die mit ihrer Moral
Normen vorgeben: Norm des guten Lebens, Norm des einen Gottes, Norm
des Menschen.
Das Christentum, das im Vergleich zum Judentum für Nietzsche keine
wesentliche Unterscheidung aufweist, erlangt seine Macht durch die
Installierung der Schuld: Das Leben muß gerechtfertigt werden vor
dem Hintergrund, daß das Lebendige als Sinnliches der Buße bedarf.
Dabei ist das schlechte Gewissen eine Installierung von Schuld in
der Innerlichkeit, die auch ohne den Priester auskommt: Es funktioniert
schließlich jenseits der Frage, ob die Unterscheidungen von gut
und böse, die die Priester gesetzt haben, es überhaupt wert sind,
in den Handlungen befolgt zu werden.
Zunächst reagieren die Menschen nur, sie gehorchen. Sie sind Sklaven
der Priester und ihrer eigenen reaktiven Kräfte. Diese reaktiven
Kräfte, die unter den gesetzten Normen der Enthaltsamkeit und Entsinnlichung
- kurz, der Entwertung des Lebens - stehen, werden zugleich von
der Qualität der Verneinung des Lebens im Willen zur Macht bestimmt.
Diese reaktiven Kräfte werden jedoch nun unter der Qualität der
Verneinung selbst aktiv; sie vervollkommnen sich: sie arbeiten an
der Verdummung, denn nur wer "arm" im Geiste ist, dem wird das Himmelreich
gehören, sie infizieren sich gegenseitig mit dem Virus des Hasses
und des Neides, denn die von den Priestern geschaffene Moral führt
Nietzsche auf den Neid auf den Starken zurück.
Was hat nun diese alte Geschichte mit uns Heutigen noch zu tun,
wird man vielleicht denken. Gegenfrage: Was ist denn mit denen,
die es wagen, ihr eigenes Lebenskonzept durchzusetzen? Die, die
beispielsweise sagen, daß Arbeit in dieser Gesellschaft für sie
kein Ziel sei, keinen Sinn für ihr Dasein hätte? Die typische Antwort
eines Sklavenmoralisten wäre: "Der ist doch nur zu faul zum Arbeiten!"
Nietzsche hingegen bemerkt zynisch: "Arbeitsamkeit, als Anzeichen
einer unvornehmen Art Mensch"49 , weil nur der
"niedere Mensch [zu einer] Unterwerfung unter die facta"50
fähig ist. Wie reagieren viele Leute, wenn sich Menschen herausnehmen,
gegen den Mainstream der Einstellungen zu leben? Vielleicht sind
sie einfach nur neidisch über den Mut, dies durchzusetzen, vielleicht
bewundern sie es heimlich, wenn das Risiko der Bequemlichkeit vorgezogen
wird. Aber zumeist entlädt sich dieser Neid in Ressentiment. Wohlbegründet
selbstverständlich, denn man weiß sich schließlich im Besitz der
Wahrheit. Nietzsche aber stellt fest, daß nur "ein armseliger Eckensteher
von Moralist"51 zu wissen glaubt, wie der Mensch zu sein
und zu leben hat: "Wogegen ich protestire? Daß man nicht diese kleine
friedliche Mittelmäßigkeit, dieses Gleichgewicht einer Seele, welche
nicht die großen Antriebe […] kennt, als etwas Hohes nimmt, womöglich
gar als Maaß des Menschen."52
Vielleicht wird es nun verständlich, warum Nietzsche fordert: "man
hat die Starken immer zu bewaffnen gegen die Schwachen [...]."53
Die Schwachen sind die, die sich nicht trauen, die "aus Furcht,
sich Feinde zu machen, […] zu […] raffinirten Heuchlern"54
werden: "`Gut´ nennen sich die Mitglieder der Heerde: das Hauptmotiv
in der Entstehung der Guten ist die Furcht. Verträglichkeit, […]
sich-Anpassen vieles Abwehren und Vorbeugen von Noth, mit stiller
Erwartung, daß es uns gleich vergolten wird, Vermeiden der Feindseligkeit
[…] - das Alles, lange nur Heuchelei der Güte, wird endlich Güte."55
Die Schwachen sind die, die sich lieber ängstlich in der Masse verstecken,
die, die gegen die Ausnahmen, die Anderen, das Gift des Ressentiments
spritzen - wenn es denn dabei bleibt. "Der Sklavenaufstand in der
Moral beginnt damit, dass das Ressentiment selbst schöpferisch
wird und Werthe gebiert: das Ressentiment solcher Wesen, denen die
eigentliche Reaktion, die der That versagt ist, die sich nur durch
eine imaginäre Rache schadlos halten. Während alle vornehme Moral
aus einem triumphirenden Ja-sagen zu sich selber herauswächst, sagt
die Sklaven-Moral von vornherein Nein zu einem `Ausserhalb´, zu
einem `Anders´, zu einem `Nicht-selbst´ [...]."56
Von diesem Punkt aus wird nun auch verständlich, warum Nietzsche
an der Differenz zwischen den Menschen festhält: Identität bedeutet
immer die Konstruktion eines Ichs, das sich nur über den Ausschluß
des Anderen zu halten vermag: Es ist die Reduktion des Anderen auf
das identische Selbst oder, wie Nietzsche es formuliert, ein "Nein
zu einem `Ausserhalb´, zu einem `Anders´, zu einem `Nicht-selbst´".
In Nietzsches Philosophie ist jedoch die Bejahung der Differenz
unter dem grundsätzlichen Willen, das Leben zu bejahen57
, ein zentraler Wert: Der Starke vermag, die Differenz zum Anderen
auszuhalten, er steht nicht unter dem Zwang, daß alle sein müssen
wie er; Nietzsche nennt dies auch das "Pathos der Distanz"58.
Was benötigt nun aber eine Gesellschaft der Sklaven, deren Moralität
- auch ohne Gott - immer noch an die Verneinung des Lebens gebunden
ist, um ihre Definition des Wahren und Guten durchsetzen zu können?
Eine der möglichen Antworten ist: Anpassung, Disziplinierung, Domestizierung.
Für Nietzsche stellt daher beispielsweise der Eingriff des Staates
in die Schule schon das "Mittel [dar], die Geister zu beherrschen."59
Weil "die Menschen […] zu den Zwecken der Zeit abgerichtet
werden [sollen], um [...] in der Fabrik der allgemeinen Utilitäten
[zu] arbeiten"60, hat man es eilig. Die Leute sollen
"fertig" werden, sie sollen möglichst schnell möglichst viel produzieren,
sie werden auf eine Arbeit verpflichtet, deren Qualität absolut
in Frage steht. Was sie nicht lernen, ist, daß beispielsweise das
Denken kein Ende, kein Fertig-Werden kennt: "unsre `höheren´ Schulen
sind allesammt auf die zweideutigste Mittelmässigkeit eingerichtet,
mit Lehrern, mit Lehrplänen, mit Lehrzielen. Und überall herrscht
eine unanständige Hast, wie als ob Etwas versäumt wäre, wenn der
junge Mann mit 23 Jahren noch nicht `fertig´ ist, noch nicht Antwort
weiss auf die `Hauptfrage´: welchen Beruf? - Eine höhere
Art Mensch, mit Verlaub gesagt, liebt nicht `Berufe´, genau deshalb,
weil sie sich berufen weiss ... Sie hat Zeit, sie nimmt sich Zeit,
sie denkt gar nicht daran, `fertig´ zu werden, - mit dreissig Jahren
ist man, im Sinne hoher Cultur, ein Anfänger, ein Kind."61
Aus diesem Grunde vergleicht Nietzsche Wissenschaftler mit aufgescheuchten
Hennen: "nur gackern können sie mehr als je, weil sie öfter Eier
legen: freilich sind auch die Eier immer kleiner (obzwar die Bücher
immer dicker) geworden."
Es gäbe hier noch unendlich viele Beispiele anzuführen, doch für
den Augenblick muß dies genügen. Ich hoffe, daß jetzt zumindest
deutlich geworden ist, daß die Sklavenmoral eine Biedermannsmoral
ist, die vor allem nach der Devise funktioniert: Bloß nicht unangenehm
auffallen, bloß nichts riskieren - es könnte ja sein, daß man sein
Stück vom billigen Kuchen nicht bekommt.
Mit dem, was Nietzsche als den starken, vornehmen, höheren Typus
von Mensch beschreibt, sind wir schon sehr nahe an Nietzsches Konzeption
des Übermenschen. Da diese Konzeption nur zusammen mit Nietzsches
Kennzeichnung und Beurteilung des Nihilismus und dem, was er unter
der Umwertung der Werte versteht, erläutert werden kann, muß dieser
Zusammenhang im folgenden kurz dargestellt werden.
5. Nihilismus, Umwertung der Werte, Übermensch
Der Nihilismus stützt sich auf Werte, die mit der
Ausweisung Gottes - den die Menschen getötet haben, um sich selbst
an seine Stelle zu setzen - als leere und den Menschen gleichzeitig
unterdrückende Normen bestehen bleiben. Das Negative im Willen zur
Macht destruiert aber zugleich auch diese Werte, und selbst dort,
wo es keine Werte mehr gibt, forciert es immer noch die Entwertung
des Lebens. Das Entscheidende am Nihilismus ist, daß in ihm zwar
der Wille zur Macht nur in der Qualität der Verneinung des Lebens
wirksam ist, die beispielsweise in der Leibfeindlichkeit des asketischen
Ideals und der Abqualifizierung des Scheinhaften zum Ausdruck kommt,
daß er zugleich aber in dieser Funktion der Verneinung auch Vorbereiter
des Übermenschen ist. Der Nihilismus ist Vorbereiter, weil er vor
der eigenen Grundlage, auf der er ruht, nicht Halt macht: "Erste
Consequenz der Moral: das Leben ist zu verneinen. Letzte
Consequenz der Moral = die Moral selber ist zu verneinen."63
Kritik am Nihilismus und Unterstützung des Nihilismus bei Nietzsche
gründen darauf, daß der aktive Nihilismus als Wille zum Nichts zum
Schluß nichts mehr bestehen läßt64 : "Der Nihilism stellt
einen pathologischen Zwischenzustand dar (pathologisch ist
die ungeheure Verallgemeinerung, der Schluß auf gar keinen Sinn):
sei es, daß die produktiven Kräfte noch nicht stark genug sind:
sei es, daß die décadence noch zögert und ihre Hülfsmittel noch
nicht erfunden hat."65 Pathologisch ist der Nihilismus
also deshalb, weil er zuletzt jeglichen Sinn zerstört. Zugleich
wird aber nur durch diese komplette Zerstörung ein leerer Raum erzeugt,
in dem wieder etwas möglich wird: Der Mensch muß einen Sinn für
seine Existenz schaffen - ohne sich auf die Autorität einer Moral
beziehen zu können.
Die Überwindung des Menschen durch den Übermenschen vollzieht sich
mit der Umwertung der Werte, bei der eine andere Qualität des Willens
zur Macht auf den Plan tritt: die Bejahung des Lebens. Die Bejahung
stößt das Negative aus dem Willen zur Macht aus, sie eliminiert
alle Werte, die an die Verachtung des Sinnlichen und Lebendigen
geknüpft waren, sie ändert damit vollständig den Charakter der Wertschätzung
selbst, so daß ganz neue, bis dahin unbekannte Werte geschaffen
werden. Im Akt der Zerstörung sind Kräfte wirksam, die sich nicht
mehr von dem trennen lassen, was sie können, sondern bis zum Ende
gehen. Unter der Qualität der Verneinung erhebt sich also eine aktive
Kraft; die Destruktionskraft des aktiven Nihilismus ist ein erstes
Indiz des freien Schaffens: "Siehe die Guten und Gerechten! Wen
hassen sie am meisthen? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe,
den Brecher, den Verbrecher: - das aber ist der Schaffende."66
Die aktive Zerstörung ist jener Augenblick, in dem sich die Qualität
des Willens ändert: Aus dem Willen zur Verneinung wird ein Wille
zur Bejahung. Die Vernichtung der alten Werte beschreibt Nietzsche
mit der Figur des Löwen: "Neue Werthe schaffen - das vermag auch
der Löwe noch nicht: aber Freiheit sich schaffen zu neuem Schaffen
- das vermag die Macht des Löwen."67 Die Wandlung des
Löwen zum Kind ist der Brennpunkt der Umwertung der Werte: Der geschaffene
Freiraum ermöglicht erst eine neue wertsetzende Produktivität; er
ist der Spielplatz des Kindes: "Unschuld ist das Kind und Vergessen,
ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste
Bewegung, ein heiliges Ja-sagen."68 Gegen die Vorstellung
der Schuld des Lebendigen setzt Nietzsche die Unschuld des Kindes,
gegen die metaphysische Prämisse der ewigen Wahrheit die Flüchtigkeit
des Augenblicks: denn das Neubeginnen als ein Werden ist vom Vergessen
als einem Vergehen nicht zu trennen. Nietzsche führt den präsentischen,
sinnlichen Augenblick, das absolute Versunkensein des Kindes in
die Gegenwart des Spiels, gegen den zeitlosen Ernst der metaphysischen
Wahrheit ein. Das Kind ist sein Spiel, ein Spiel von Kräften,
das diese Kräfte aus sich entläßt, ohne von dem getrennt zu werden,
was es können kann und können will: eine erste Bejahung des Lebens.
Nach den "letzten Menschen" und den Menschen, die ihren Untergang
wollen69 , steht also das Kind, das das Kommen des Übermenschen
ankündigt.
Hier ist nun die entscheidende Schnittstelle: Mit Beginn des metaphysischen
Denkens beginnt für Nietzsche der Prozeß der Herabwürdigung des
Sinnlichen, Körperlichen und Lebendigen. Das Ende des Menschen,
seine Überwindung durch den Übermenschen, bedeutet das Ende des
Menschen dergestalt, wie er sich seit der Begründung der Metaphysik
in der Welt eingerichtet hat. Nietzsches Bestreben, beispielsweise
auch den Glauben an die voraussetzungslose Wissenschaft noch als
Erbe von monotheistischer Religion oder griechischer Aufklärung
nachzuweisen oder den Sozialismus als Erbe des Christentums70
zu betrachten, läßt das Ziel der Genealogie deutlich werden: Diese
Beziehungen nämlich zu erkennen und in einer Form der Subversion
des Wissens auf die Spitze zu treiben, um die alten Werte umzuwerten.
Pessimismus und Nihilismus stellen dabei Etappen auf dem Weg dar;
es ist Nietzsches Hoffnung, daß ein "solcher Pessimism […] in jene
Form eines dionysischen Jasagens zur Welt, wie sie ist [münden
könnte]: bis zum Wunsche ihrer absoluten Wiederkunft und Ewigkeit:
womit ein neues Ideal von Philosophie und Sensibilität gegeben wäre."71
Was hat nun aber der Übermensch mit dem Gedanken der ewigen Wiederkehr72
zu tun, der nach Nietzsche zu einer anderen Sensibilität führen
könnte?
Die ewige Wiederkehr ist keine Wiederkehr des Gleichen als Wiederkehr
eines identischen Inhalts und darf nicht als Konstruktion mythischer
Zeit mißverstanden werden, da der Mensch selbst ihr ein selektives
Moment geben kann: "Meine Lehre sagt: so leben, daß du wünschen
mußt, wieder zu leben ist die Aufgabe - du wirst es jedenfalls!
Wem das Streben das höchste Gefühl giebt, der strebe: wem Ruhe das
höchste Gefühl giebt, der ruhe […]. Nur möge er bewußt
darüber werden, was ihm das höchste Gefühl giebt und
kein Mittel scheuen! Es gilt die Ewigkeit!"73
Der Gedanke der Wiederkehr "erzieht" auf diese Weise, sich auf das
zu beschränken, was lebensbejahend ist, das heißt, was unbedingt
und stets gewollt wird. Die neue Sensibilität bestünde dann darin,
daß Wertsetzungen an keinem Kriterium einer fiktiven Wahrheit oder
Vernünftigkeit mehr kleben, sondern auf ihre Lebensdienlichkeit
hin befragt werden: geben sie dem Dasein einen Sinn? Ist das, was
ich jetzt tue, das, was ich auch jederzeit wieder wollen würde,
wollen könnte? Mit der Erfindung der eigenen Existenz kann sich
der Mensch hinter keiner Wahrheit, keiner noch so objektiv sich
gebärdenden Notwendigkeit mehr verstecken: "Aus seinem Leben selbst
ein Experiment machen - das erst ist Freiheit des Geistes
[...]."74 Wenn wir uns jedoch selbst erfinden, wenn wir
aus unserer Existenz ein Experiment machen, dessen Ausgang, wie
man weiß, ungewiß ist, dann machen wir unser Leben gefährlicher75
, setzen uns dem Risiko des Zufalls bewußt aus. Statt zu meinen,
mit Sicherheit zu wissen, was gut und richtig ist, finden wir uns
in fast grausamer Weise auf uns zurückverwiesen. Denn dieses Zurückgeworfensein
auf sich, bei dem der Mensch zum Schöpfer seiner selbst wird76
, entzieht ihm jede Seinsgewißheit: keine Wahrheit mehr, kein beharrliches
Sein, keine Substanz, kein festes Ich: "Wir enthalten den Entwurf
zu vielen Personen in uns […] - Von jedem Augenblick unseres
Lebens aus giebt es noch viele Möglichkeiten: der Zufall spielt
immer mit!"77 An anderer Stelle heißt es: "Der
Mensch darf Narr sein - er darf sich auch Gott fühlen,
es ist Eine Möglichkeit unter so vielen."78
Den Gedanken der Wiederkehr auszuhalten, setzt nach Nietzsche bereits
einen Typus voraus, das er den Übermenschen nennt. Wer möchte angesichts
von Nietzsches "Lehre" - "so leben, daß du wünschen mußt,
wieder zu leben ist die Aufgabe" - noch davon sprechen, daß Nietzsche
mit der Konzeption des Übermenschen das Bild eines gedrillten Killers
entworfen hat? Aber was sind die Konsequenzen aus dieser "Lehre"?
Ich möchte zum Abschluß dieses Themas einige mir wichtig erscheinende
Aspekte des Übermenschen noch erwähnen, die zeigen können, wie sehr
durch diese Konzeption eine neue Wertsetzung gedacht wird.
- Der Übermensch ist heimatlos. Er empfindet seine Heimatlosigkeit
jedoch nicht als Makel, sondern als Liebe zum Nicht-Festgestellten,
Nicht-Identischen, zum Unentdeckten: "Oh meine Brüder, nicht zurück
soll euer Adel schauen, sondern hinaus! Vertriebene sollt
ihr sein aus allen Vater- und Urväterländern! Euer Kinder Land
sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, - das unentdeckte,
im fernsten Meere! […] An euren Kindern sollt ihr gut machen,
dass ihr eurer Väter Kinder seid [...]."79 Nicht das
Land der Väter, sondern das Unentdeckte des Neuen und Zukünftigen
als Land der Kinder, auf das man sich nicht beziehen kann, weil
es noch nicht existiert, führt Nietzsche gegen eine Kontinuitätsgeschichte
und den Gedanken des Nationalstaates ein: "`die Kritik von Eltern,
Lehrern, Vaterland, Heimat´ - als Anfang der Befreiung [...]."80
Der Übermensch braucht keine Seinsgewißheit - und deshalb auch
keine Seinsgewißheit, die sich über einen Staat, eine Nationalität,
eine Heimat etc. definiert. Es ist also nur folgerichtig, daß
Nietzsche vom "Unglück des Nationalitäten-Wahnsinns" spricht und
den Slogan `Deutschland, Deutschland über Alles´ als "Albernheit"
begreift und bemerkt: "Für das Princip `
Deutschland, Deutschland über
Alles´ oder für das deutsche Reich sich zu begeistern, sind wir
nicht dumm genug."81
- Mit der Liebe zum Nicht-Festgestellten verbunden ist die Liebe
zum Unentdeckten, zum Fernsten: "Höher als die Nächstenliebe steht
die Liebe zu den Fernen [...]."82 In der christlichen
Nächstenliebe erkennt Nietzsche nur den Versuch, aus der Vorhandenheit
räumlicher Nähe einen Vorteil zu ziehen: "Nächstenliebe.
Wenn der Nutzen das Räderwerk ist."83
- Der Wille zur Macht, der im Übermenschen unter der grundsätzlichen
Herrschaft der Bejahung steht, ist durch einen "Überfluss von
Macht"84 gekennzeichnet und offenbart sich als Fähigkeit
zum Schenken: "Herrschsucht: doch wer hiesse es Sucht,
wenn das Hohe hinab nach Macht gelüstet! […] Dass die einsame
Höhe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnüge; dass der Berg
zu Thale komme und die Winde der Höhe zu den Niederungen: - Oh
wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen für solche Sehnsucht!
`Schenkende Tugend´ - so nannte das Unnennbare einst Zarathustra."85
Das Schenken als eine Form der Selbstverschwendung, das gegen
jedes Nützlichkeitsprinzip steht, resultiert aus einer Überfülle
von Kräften, die ungehemmt sich entfalten können: "Ich liebe
die, welche ihre Seele verschwenden, die nicht danken und
nie zurückgeben, weil sie immer schenken."86
- Nietzsche nennt als Moment des dionysischen Übermenschen den
Tanz: "Der Tanz und eine leichte Entwicklung aus einer Phase in
die andere ist äußerst gefährlich - ein Schwertertanz.
Denn die grobe Consequenz und Hartnäckigkeit geben dem Individuum
sonst die Dauerhaftigkeit." 87 Auch an dieser Stelle
wird deutlich, daß nicht die Dauer in Gestalt eines Automatismus
der Bewegung erstrebt werden kann, die wiederum jene Sicherheit
verleiht, die es zu überwinden gilt, sondern daß es um eine Art
Bewußtheit der Phasenverschiebung geht, die stetig von neuem zu
erproben ist. Die Bewegungsübergänge im Tanz stehen gegen ein
dauerhaftes Sein, das vom allzumenschlichen Menschen als Zustand
des Lebens erstrebt wird: "Wir dürfen nicht Einen Zustand wollen,
sondern müssen periodische Wesen werden wollen [...]."88
Die Leichtigkeit des Tanzes kann dabei nicht über die Gefährlichkeit
hinwegtäuschen, die er für das Ich auf schwankendem Grund besitzt.
Aber, was rät Nietzsche seinem imaginären Kind: "Mein Kind, […]
fliehe die Bequemlichkeit weil sie das Leben fade macht. Du sollst
etwas Grosses einst thun: dazu musst du erst etwas Grosses werden."89
Das Spiel, der Tanz und das Lachen sind Momente des dionysischen
Übermenschen, in denen er nicht das Leben oder die Realität erträgt,
sondern sie bejaht und sich in ihnen entwirft: "Und verloren sei
uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und falsch heisse
uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelächter gab!" 90
Exkurs 1: Der Vorwurf der Affirmation
Nietzsches Forderung nach einer Bejahung des Lebens
wird immer wieder als Affirmation auch des bürgerlichen Staates
mißverstanden. Ein kurzer Vergleich zwischen der Hegelschen Affirmation
- der "versöhnlerischen" Positivität, die im synthetischen Moment
der Dialektik zum Ausdruck und im bürgerlichen Staat zur Vollendung
gebracht ist - und der Nietzscheanischen Bejahung soll dieses Mißverständnis
beseitigen.
"Bejahung" innerhalb des Hegelschen bürgerlichen Staates gründet
auf dem Willen zur Verneinung des Lebens und zeigt sich als reaktive
Kraft im mechanischen Nicken seiner allzumenschlichen Staatsbürger:
Für "Hegel [ist] der Höhepunkt und der Endpunkt des Weltprozesses
in seiner eigenen Berliner Existenz zusammen[gefallen]. Ja er hätte
sagen müssen, dass alle nach ihm kommenden Dinge eigentlich nur
als eine musikalische Coda des weltgeschichtlichen Rondos, noch
eigentlicher, als überflüssig zu schätzen seien. Das hat er nicht
gesagt: dafür hat er in die von ihm durchsäuerten Generationen jene
Bewunderung vor der `Macht der Geschichte´ gepflanzt, die praktisch
alle Augenblicke in nackte Bewunderung des Erfolges umschlägt und
zum Götzendienste des Thatsächlichen führt: für welchen Dienst man
sich jetzt die sehr mythologische […] Wendung `den Thatsachen Rechnung
tragen´ allgemein eingeübt hat. Wer aber erst gelernt hat, vor der
`Macht der Geschichte´ den Rücken zu krümmen und den Kopf zu beugen,
der nickt zuletzt chinesenhaft-mechanisch sein `Ja´ zu jeder Macht,
sei dies nun eine Regierung oder eine öffentliche Meinung […], und
bewegt seine Glieder genau in dem Takte, in welchem irgend eine
`Macht´ am Faden zieht."91 Eine Bejahung des Lebens,
wie Nietzsche sie fordert, muß durch die Vernichtung aller bisherigen
Werte erst hindurchgegangen sein, um zum Ja des Kindes zu finden.
Die Überwindung des Menschen und die vollständige Umwertung aller
Werte bedeutet keine dialektische Aufhebung im Sinne der Wiederaneignung,
die für Nietzsche immer nur eine Wiederaneignung des Lebensfeindlichen
sein kann, sondern eine Aufhebung, bei der das Überwundene in der
neuen Ordnung der Wertsetzung überhaupt nicht mehr auftaucht.92
Der Hegelschen Bejahung verleiht Nietzsche zudem durch die Figur
des Esels Gestalt. Der Esel brüllt zu allem "I-A", sagt also zu
allem "ja und amen", verfügt dabei aber überhaupt nicht über die
Fähigkeit des Neinsagens: Der Esel "trägt unsre Last, er nahm Knechtsgestalt
an, er […] redet niemals Nein [...]."93 Der Esel findet
sich mit der Last, die auf seinen Rücken geladen wird oder die er
sich selbst auflegt, ab, so, wie der Hegelsche Greis sich schließlich
mit dem Konkreten des Lebens versöhnt. Diese Versöhnung ist jedoch
ein Ertragen der Realität; Nietzsche aber wehrt sich gerade gegen
diesen Gedanken, daß das Leben eine Last sei. Der bürgerliche Staat
ist wie das Ja des Esels nur eine Karikatur der Bejahung94
, weil in der dialektischen Positivität die Bejahung sich als ein
Moment konstituiert, das die lebensverneinenden Prinzipien - die
Abqualifizierung des Zufalls, der Interpretation, des Sinnlich-Körperlichen
- der Ausgangsthese nur weiter fortschreibt.
Exkurs 2: Zum Problem der "Rasse"
Zunächst: Wir wissen jetzt, daß der (Über)Mensch
nach Nietzsche nicht als einheitliches, identisches Subjekt verstanden
werden kann. Daß er sich erfinden muß, um möglich werden zu können.
Wie kann Nietzsches Begriff der Rasse dem der Nazis entsprechen,
wenn deren Begriff des Subjekts auf die Konstanz des Mit-sich-Identischen
setzt?
Aber schauen wir uns die Sache noch ein bißchen genauer an. Ich
habe dazu einige Textstellen zusammengetragen, die ich nur jeweils
mit einem kurzen Kommentar versehen werde, weil sie einer Kommentierung
eigentlich nicht mehr bedürfen.
Wenn Nietzsche von Vererbung spricht, dann ist dieser Begriff im
Sinne von Erbe - dem metaphysischen Erbe, dem abendländischen
Erbe etc. - zu verstehen. Denn grundsätzlich sagt Nietzsche, daß
"`Vererbung´, als etwas ganz Unerklärtes, nicht zur Erklärung benutzt
werden kann, sondern nur zur Bezeichnung, Fixirung eines Problems."95
Dabei unterscheidet er - entsprechend dem Versuch der Überwindung
der metaphysischen Trennung von Körper und Geist - nicht zwischen
vererbt und anerzogen. Die Möglichkeit des (Über)Menschen sieht
Nietzsche ja ohnehin jenseits dieser Bestimmungen als ein Experiment
der Existenz an, das nur ohne einen zugrundegelegten Determinismus
gedacht werden kann. So heißt es bei Nietzsche etwa, daß die "Schätzung
des Socialen […] vererbt" 96 wird, aber auch, daß die
"Neigung zu Gedanken […] vererbt und angezogen" 97
werde. Wenn Nietzsche also bemerkt, daß der Mensch "das Gedächtniß
aller vorigen Generationen mit sich herum[trägt]"98 ,
so ist dies im Sinne eines Hineingeboren-Werdens in Traditionen
zu verstehen, die Nietzsche, was seine Einschätzung der Funktion
des Nihilismus für die Umwertung der Werte gezeigt hat, zugleich
bewundert und verachtet. (Dies gilt somit auch für die Einschätzung
von Judentum und Christentum.)
Daß Nietzsche Vererbung im Sinne von Erbe versteht, zeigt sich an
dem Umstand, daß er seine Vorfahren nicht im deterministischen Sinne
als nationale oder (jetzt im Sinne der NS-Ideologie:) rassische
Vorfahren denkt, deren Erbe man nicht abschütteln kann, sondern
sie sich selbst - in aller Freiheit - zuweist, um den Standpunkt
seiner "geistigen" Herkunft zu verdeutlichen. Und wie das immer
so ist: Man kann sich seinem Herkommen gegenüber zustimmend oder
ablehnend verhalten. Nietzsche nimmt auch hier beide Positionen
ein: "Wenn ich von Plato Pascal Spinoza und Goethe rede, so weiß
ich, daß ihr Blut in dem meinen rollt [...]."99 Der griechische
Philosoph der Aufklärung, Plato, der christliche Denker Pascal und
der Jude Spinoza werden von Nietzsche aufgrund ihres metaphysischen
Denkens scharf kritisiert. Dennoch sieht Nietzsche, daß er selbst
in dieser Denktradition steht.
Bezogen auf die indische Moral spricht Nietzsche von Rassen - "eine
priesterliche, eine kriegerische, eine händler- und ackerbauerische,
endlich eine Dienstboten-Rasse"100 -, womit nichts anderes
als die Schichten einer Kastenordnung gemeint sind.
Meistens jedoch, wenn Nietzsche von Rasse spricht, ist damit ein
Typus gemeint101 : "Es gab wohl hier und da noch Reste
einer stärkeren Rasse: z. B. ist der Musiker Händel […] ein Zeugniß
davon: oder […] Frau Professor Gottsched, welche mit Fug und Recht
eine gute Zeit lang über die deutschen Professoren das Scepter geführt
hat [...]."102 Und den Dichter Guy de Maupassant erwähnt
Nietzsche, "um Einen von der starken Rasse hervorzuheben, […] dem
ich besonders zugethan bin [...]."103
Dabei grenzt Nietzsche sich klar gegen den heraufziehenden Rassismus
ab: "Wir Heimatlosen, wir sind der Rasse und Abkunft nach zu vielfach
und gemischt […] und folglich wenig versucht, an jener verlognen
Rassen-Selbstbewunderung und Unzucht theilzunehmen, welche sich
heute in Deutschland als Zeichen deutscher Gesinnung zur Schau trägt
[...]."104 Und entsprechend rät Nietzsche seinen Lesern:
"mit keinem Menschen umgehn, der an dem verlognen Rassen-Schwindel
Antheil hat." 105
Da nun jedoch der Vorwurf des Antisemitismus in einigen Kreisen
linker Kritik immer noch herumgeistert, soll an dieser Stelle nochmals
explizit für mehr Klarheit gesorgt werden.
Nietzsches Schwester hatte im Mai 1885 Bernhard Förster, einen herausragenden
Vertreter der antisemitischen Bewegung in Deutschland, geheiratet.
Schon zum Zeitpunkt der Verlobung hat Nietzsche in einem Brief an
die Schwester klargemacht, wie er über diese Verbindung denkt: "Du
bist zu meinen Antipoden übergegangen. […] [I]ch will es nicht verhehlen,
daß ich […] diese Verlobung als Beleidigung empfinde [...]."106
Über die Heirat schreibt er seiner Mutter: "die ganze Sache ging
mir durch und durch. […] [D]ieser Frühling ist einer der
melancholischsten Frühlinge meines Lebens."107
Während Nietzsche die Dummheit der antisemitischen Auslegung des
Zarathustra zunächst zu einem "Katastrophen"-Lachen reizt, vergeht
ihm schließlich auch dieses Lachen; an seine Schwester schreibt
er Ende 1887: "Deine Verbindung mit einem antisemitischen Chef drückt
eine Fremdheit gegen meine ganze Art zu sein aus, die mich
immer von Neuem mit Groll oder Melancholie erfüllt. […] [E]s ist
eine Ehrensache für mich, nach Seiten des Antisemitismus hin absolut
reinlich und unzweideutig zu sein, nämlich ablehnend, wie
ich es in meinen Schriften tue. Man hat mich in den letzten Zeiten
mit Briefen und antisemitischen Korrespondenzblättern heimgesucht;
mein Widerwille vor dieser Partei (die gar zu gern ihren Vorteil
von meinem Namen haben möchte!) ist so ausgesprochen wie
möglich, aber die Verwandtschaft mit Förster, ebenso wie die Nachwirkung
meines ehemaligen antisemitischen Verlegers Schmeitzner, bringen
immer wieder die Anhänger dieser unangenehmen Partei auf die Vorstellung,
ich müsse wohl zu ihnen gehören. […] Es erweckt vor allem Mißtrauen
gegen meinen Charakter, wie als ob ich öffentlich etwas ablehne,
was ich im Geheimen begünstige - und daß ich nichts dagegen zu tun
vermag, daß in jedem antisemitischen Korrespondenzblatt der Name
`Zarathustra´ gebraucht wird, hat mich schon mehrere Male beinahe
krank gemacht."108
Wenn also der Antisemitismus in Nietzsches Werk konsequenterweise
keinen Eingang finden konnte, so stellt sich die Frage, wie Nietzsches
Angriffe auf das Judentum dann zu bewerten sind. Insbesondere im
Abschnitt 3 dieser Untersuchung ist bereits herausgearbeitet worden,
was Nietzsches Ablehnung des Monotheismus begründet: die "jüdische
Priesterschaft" entwertet die Sinnlichkeit (die "Natur") zugunsten
"sittlicher" Werte, die nach Nietzsche keine andere Funktion besitzen,
als über die "Schäflein" Macht auszuüben: "Der Ungehorsam gegen
Gott, das heisst gegen den Priester, gegen `das Gesetz´ bekommt
nun den Namen `Sünde´; die Mittel, sich wieder `mit Gott zu versöhnen´,
sind, wie billig, Mittel, mit denen die Unterwerfung unter den Priester
nur noch gründlicher gewährleistet ist: der Priester allein `erlöst´...
Psychologisch nachgerechnet werden in jeder priesterlich organisirten
Gesellschaft die `Sünden´ unentbehrlich: sie sind die eigentlichen
Handhaben der Macht [...]."109 Nach Nietzsche kann diese
Unterwerfung unter die Priester von der Ausbildung der Sklavenmoral
nicht getrennt werden, die Charaktere des Ressentiments, das einen
Widerstand gegen jede individuelle Lebensäußerung bedeutet, erzeugt.
Die Theorie des Ressentiments hat Nietzsche schon bei Heinrich Heine
vorgefunden110 , die dieser in seiner Schrift über Ludwig
Börne ausführt: "Wie in seinen Äußerungen über Goethe, so auch in
seinen Beurteilungen anderer Schriftsteller, verriet Börne seine
nazarenische Beschränktheit. Ich sage nazarenisch, um mich weder
des Ausdrucks `jüdisch´ noch `christlich´ zu bedienen, obgleich
beide Ausdrücke für mich synonym sind und von mir nicht gebraucht
werden, um einen Glauben, sondern um ein Naturell zu bezeichnen.
`Juden´ und `Christen´ sind für mich ganz sinnverwandte Worte im
Gegensatz zu `Hellenen´, mit welchem Namen ich ebenfalls kein bestimmtes
Volk, sondern eine […] angebildete Geistesrichtung und Anschauungsweise
bezeichne. In dieser Bezeichnung möchte ich sagen: alle Menschen
sind entweder Juden oder Hellenen, Menschen mit asketischen, bildfeindlichen,
vergeistigungssüchtigen Trieben, oder Menschen von lebensheiterem,
erfahrungsstolzem und realistischem Wesen. So gab es Hellenen in
deutschen Predigerfamilien, und Juden, die in Athen geboren und
vielleicht von Theseus abstammen."111 Heine kritisiert
Börne als Asketen und "Nazarener", der als der dem "großen Hellenen"
Goethe weitaus unterlegene Schriftsteller gegen diesen sein ressentimentgeladenes
Gift spritzt. Zugleich wertet Börne, so Heines Argumentation, seinen
Mangel zur Tugend um. Genau diese Umdeutung des "Kleinen" zum "Großen"
macht Nietzsche als Kern der Sklavenmoral aus, die durch die Werte
der Priesterkaste, insbesondere den Asketismus, und ihre Forderung
nach Unterwerfung durchgesetzt wird.
Judentum und Christentum versteht Nietzsche wie Heine als "nazarenisch",
so daß sie ihm zu synonymen Ausdrücken werden. Nietzsches auf die
Kritik der Moralität bezogene Argumentation unterscheidet sich dabei
entschieden beispielsweise von der antisemitischen Agitation Richard
Wagners, der - im Gegensatz zu Nietzsche112 - das Christentum
nicht aus dem Judentum entstanden betrachtet, sondern - wie später
Alfred Rosenberg - versucht, die Geburt der Menschheit nach Asien
zu verlegen, um ein "gereinigtes" Christentum zu entwerfen. So behauptet
Wagner, daß das "erste Christenthum durch seine Vermischung mit
dem engherzigen Judenthum […] entstellt wurde", während das "reine,
ungemischte Christenthum nichts anderes als ein Zweig des ehrwürdigen
Buddhaismus ist."113 So schafft Wagner auch eine Parallele
zwischen dem germanischen Gott Wotan, der zugleich mit dem "höchste[n]
Gott der Deutschen"114 identifiziert wird, und Christus,
um das Alte Testament zu umgehen: "Alle Treue und Anhänglichkeit
ging um so leichter auf Christus über, als man in ihm den Stammgott
wieder erkannte [...]."115
Nietzsche jedoch urteilt über die literarische Qualität des Alten
Testaments in einer Weise, die einem Antisemiten wohl kaum über
die Lippen kommen würde: "Im jüdischen `alten Testament´ […] giebt
es Menschen, Dinge und Reden in einem so grossen Stile, dass das
griechische und indische Schriftenthum ihm nichts zur Seite zu stellen
hat. Man steht mit Schrecken und Ehrfurcht vor diesen ungeheuren
Überbleibseln dessen, was der Mensch einstmals war […]. [D]er Geschmack
am alten Testament ist ein Prüfstein in Hinsicht auf `Groß´ und
`Klein´ […]. Dieses neue Testament, eine Art Rokoko des Geschmacks
in jedem Betrachte, mit dem alten Testament zu Einem Buche zusammengeleimt
zu haben […]: das ist vielleicht die grösste Verwegenheit und `Sünde
wider den Geist´, welche das litterarische Europa auf dem Gewissen
hat." 116
Bei der nationalsozialistischen Rezeption Nietzsches handelt es
sich also um eine Rückübersetzung Nietzsches in die Kategorien des
biologistischen Rassismus des 19. Jahrhunderts. Nicht Nietzsche
ist die ideologische Autobahn gewesen, die bis nach Auschwitz führte,
sondern die Vordenker des autoritären Staates (Luther und Hegel)
und des modernen Antisemitismus (Wagner).117 Zielsicher
begriff Nietzsche genau diese Denker als seine Antipoden. Zudem
ist in Stalingrad nicht, wie Zwerenz meint, der Vormarsch des Übermenschen
zum ersten Mal aufgehalten worden, sondern die Vernichtungslogik
der zu sich selbst gekommenen Sklavenmoral - eine Vernichtungslogik,
die Nietzsche zeitlebens vorausgeahnt und gefürchtet hat.
6. Schluß
Auf einen Vorwurf, den man Nietzsche gemacht hat,
ist noch einzugehen: den des Relativismus. Bedeutet die Aufhebung
des Unterschieds zwischen Wahrheit und Schein, mit der zugleich
der traditionelle Begriff der Ideologie verabschiedet wird, daß
nun alle Positionen möglich und damit gleichwertig sind? Sicherlich
nicht. Aus Nietzsches These, daß es keine Wahrheit im metaphysischen
Sinne gebe, folgerte man, daß dann alles Meinung wäre und die Positionen
beliebig seien. Dieser Gedankengang ist jedoch umzukehren: Weil
es keine Wahrheit im metaphysischen Sinne gibt, sind die Positionen
als Perspektiven nicht gleichwertig. Mit dem Konzept des
Willens zur Macht kann Nietzsche nämlich zeigen, daß jede Perspektive
schon eine Weltauslegung ist. Bei unterschiedlichen Perspektiven
müßte es dann darum gehen, den Stellenwert, den sie dem Menschen
jeweils einräumen, zu prüfen. Haben wir eine Interpretation vorliegen,
bei der - wie Robert Musil schreibt - sich die Frage nach dem Menschen
in derjenigen erschöpft, wie der Mensch gleich dem "Affe[n] mit
dem Stein in der Hand […] am besten die Nuß aufschlägt"; oder aber
haben wir eine Interpretation vorliegen, bei der um Fragen gerungen
wird, "die unsere Seligkeit als Mensch berührt"?118
Mit Nietzsches Konzept des Willens zur Wahrheit läßt sich zeigen,
daß eine unbewußte Tradition, die nur durch das Verfahren der Genealogie
sichtbar wird, bis heute unser Denken bestimmt. Dabei sind ihre
Wurzeln durch das Verblassen der zugrundeliegenden Metaphern nicht
mehr erkennbar, was sich darin zeigt, daß der Wille zur Wahrheit
seine eigenen religiösen Grundlagen durch einen erhöhten Grad an
Abstraktion verbirgt. Daß wir unbewußt in einem Netz von Traditionsverweisungen
stecken, läßt sich auf einer metatheoretischen Ebene an der meist
linken Rezeption von Nietzsche nachweisen, die merkwürdigerweise
von einer gleichzeitigen Über- und Unterschätzung des Denkens geprägt
ist: Natürlich ist der Glaube, daß Nietzsche Vordenker des Faschismus
sei, eine Überschätzung der Wirkung eines einzelnen Philosophen
- zumal die Schriften Nietzsches nur als Steinbruch dienten, Stichworte
für das eigene faschistische Denken zu finden. Mit dem Glauben jedoch,
einzelne Denker für die Katastrophe haftbar machen zu können, findet
dagegen eine Unterschätzung des Denkens statt, die den eigentlichen
Problembereich zu verbergen droht: Wenn es eine ideologische Autobahn
nach Auschwitz gibt, so ist es unser über Jahrtausende geschultes
Denken von Moral, Vernunft und Humanismus, das eine Trasse zu einem
solchen Weg gelegt hat.
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Anmerkungen
1 Busch, Ulrich (2000):
Friedrich Nietzsche und die DDR. In: UTOPIE kreativ. Heft 118, S.
766.
2 Harich, Wolfgang (1994): Nietzsche und seine Brüder.
Eine Streitschrift. Schwedt, S. 204.
3 Ebenda, S. 207.
4 Scheit, Gerhard (2000): Blonde Bestie umarmt Droschkengaul.
Zum 100. Todestag Friedrich Nietzsches. In: Jungle World 33, S.
5 (Seitenangaben nach http://www.jungle-world.com).
5 Ebenda, S. 7.
6 Zwerenz, Gerhard (2000): Die dunkle Rückseite des Mondes
oder Nietzsche kam bis Stalingrad. In: UTOPIE kreativ. Heft 115/116,
S. 433.
7 Ebenda, S. 434.
8 Harich, Wolfgang (1994): A. a. O., S. 53.
9 Gerlach, Hans-Martin (2000): Politik (Faschismus, Nationalsozialismus,
Sozialdemokratie, Marxismus). In: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch.
Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart, S. 502.
10 Kaufmann, Walter (1988): Nietzsche. Philosoph - Psychologe
- Antichrist. Darmstadt, S. 9.
11 Vgl. ebenda, S. 190 ff., 335 - 347 (hier insbesondere
den Anmerkungsteil).
12 Ebenda, S. 355.
13 Adorno, Theodor W. (1997): Erpreßte Versöhnung. In:
Ders.: Noten zur Literatur. Gesammelte Schriften II. Frankfurt a.
M., S. 252.
14 Vgl. dazu: Deleuze, Gilles (1979): Nietzsche. Ein
Lesebuch. Berlin, S. 10-18.
15 Vgl. dazu: NF 1884-1885, S. 59.
16 WL, S. 883.
17 WL, S. 880/881.
18 WL, S. 881. Darüber hinaus zeigt Ernst Cassirer, daß
auch grammatische Kategorien aus Bildern - nämlich räumlichen Bildern
- erwachsen. Vgl. dazu: Cassirer, Ernst (1979): Philosophie der
symbolischen Formen. Bd.1: Die Sprache. Darmstadt, S. 149 ff.
19 NF 1885-1887, S. 136.
20 GD, S. 78.
21 So gründet sich Nietzsches Kritik an der Erfindung
des Monotheismus durch die jüdische Religion auch in erster Linie
darauf, daß an die Stelle der vielen Götter der eine Gott gesetzt
wurde. „So die Juden: Eine Schuld, So Ein Erlöser.“ (NF 1875-1879,
S. 511).
22 NF 1884-1885, S. 632.
23 JGB, S. 55.
24 Deleuze, Gilles (1991): Nietzsche und die Philosophie.
Hamburg, S. 93.
25 NF 1884-1885, S. 17.
26 Und entsprechend gilt auch: es gibt nicht eine Ursache,
auf die ein Wollen zurückgeführt werden kann: "Naive Leute glauben
es noch, daß wir wissen, warum wir wollen." (NF 1880-1882, S. 289).
27 NF 1885-1887, S. 139/140.
28 Vgl. dazu: NF 1884-1885, S. 606 ff.
29 NF 1885-1887, S. 140.
30 So heißt es bei Nietzsche, daß "der Mensch eine Vielheit
von Kräften ist [...]." (NF 1884-1885, S. 461).
31 NF 1885-1887, S. 141.
32 Zur Sicherheit sei hier erwähnt, daß es bei Nietzsche
um Normen, "moralische" oder "ethische" Werte, nicht um Gebrauchs-
oder Tauschwerte geht! Das kann man kritisieren, sollte es aber
nicht verwechseln - wie etwa Scheit, der schreibt, daß der von Marx
beschriebene "Vorgang der Verwertung des Werts […] bei Nietzsche
als naturgegebenes Fatum erscheint." (Scheit, Gerhard (2000): A.
a. O., S. 2).
33 Nietzsches Projekt der Genealogie besteht im Wesentlichen
darin, die Werte zu historisieren, indem die Frage gestellt wird,
wo die Werte herkommen. Es wird ihnen auf diese Weise der Absolutheitsanspruch
genommen. Zur Weiterführung dieses Themas vgl.: Foucault, Michel
(1996): Nietzsche, die Genealogie, die Historie. In: Ders.:
Von der Subversion des Wissens. Frankfurt a. M., S. 69-89.
34 FW, S. 577.
35 GM, S. 409.
36 NF 1887-1889, S. 281.
37 NF 1887-1889, S. 281.
38 NF 1887-1889, S. 280.
39 FW, S. 577.
40 GM, S. 412.
41 NF 1880-1882, S. 119.
42 NF 1869-1874, S. 661.
43 Nietzsche hingegen nimmt für sich in Anspruch, "[a]lle
Voraussetzungen der bestehenden `Ordnung´ widerlegt" zu haben: "1.
Gott widerlegt: weil alles Geschehen weder gütig noch klug noch
wahr ist; 2) weil `gut´ und `böse´ keine Gegensätze sind […] 3)
weil `wahr´ und `falsch´ beide nöthig sind - Täuschenwollen wie
Sich-täuschen-lassen eine Voraussetzung des Lebendigen ist 4) `unegoistisch´
gar nicht möglich. `Liebe´ falsch verstanden." (NF 1884-1885, S.
92).
44 Vgl. dazu: JGB, S. 208.
45 NF 1887-1889, S. 303.
46 Scheit, Gerhard (2000): A. a. O., S. 4.
47 GM, S. 266.
48 NF 1887-1889, S. 384.
49 NF 1885-1887, S. 48.
50 NF 1884-1885, S. 27.
51 GD, S. 87.
52 NF 1885-1887, S. 512.
53 NF 1887-1889, S. 304.
54 NF 1884-1885, S. 34.
55 NF 1884-1885, S. 34.
56 GM, S. 270.
57 Ganz nebenbei bemerkt: Es ist unstatthaft, in Nietzsches
Begriff des menschlichen Lebens einen naturalistischen, biologischen,
naturwissenschaftlichen usw. Naturbegriff sehen zu wollen: "Leben
- ist das nicht gerade ein Anders-sein-wollen, als diese Natur ist?
Ist Leben nicht Abschätzen, Vorziehn, Ungerechtsein, Begrenzt-sein,
Different-sein-wollen?" (JGB, S. 22).
58 GM, S. 259.
59 NF 1875-1879, S. 420. Nietzsche bemerkt an anderer
Stelle: "Der Lehrer ist […] auf die höchsten Ansprüche zu steigern,
in seinen mittleren Formen zu vernichten. Die Schule zu ersetzen
durch lernbegierige Freundschafts-Vereine." (NF 1875-1879, S. 582).
60 HL, S. 299.
61 GD, S. 108.
62 HL, S. 301.
63NF 1882-1884, S. 44.
64"Alle grossen Dinge gehen durch sich selbst zu Grunde, durch einen
Akt der Selbstaufhebung […]. Dergestalt gieng das Christenthum als
Dogma zu Grunde, an seiner eignen Moral; dergestalt muss nun auch
das Christenthum als Moral noch zu Grunde gehn […]. Nachdem die
christliche Wahrhaftigkeit einen Schluss nach dem andern gezogen
hat, zieht sie am Ende ihren stärksten Schluss, ihren Schluss gegen
sich selbst; dies aber geschieht, wenn sie die Frage stellt `was
bedeutet aller Wille zur Wahrheit?´" (GM, S. 410). NF 1885-1887,
65S. 351.
66Z, S. 26.
67Z, S. 30.
68Z, S. 31.
69Vgl. dazu: Z, S. 18 ff., 395 ff.
70Vgl. dazu: NF 1875-1879, S. 412; NF 1884-1885, S. 586 ff.
71NF 1885-1887, S. 455.
72Vgl. dazu: NF 1884-1885, S. 225.
73NF 1880-1882, S. 505.
74NF 1887-1889, S. 618.
75Vgl. dazu: NF 1880-1882, S. 37.
76Vgl. dazu: NF 1882-1884, S. 276.
77NF 1884-1885, S. 45.
78NF 1884-1885, S. 52.
79Z, S. 255.
80NF 1884-1885, S. 17.
81NF 1884-1885, S. 43, 77, 78.
82NF 1882-1884, S. 93.
83NF 1882-1884, S. 123. An anderer Stelle heißt es: "Rathe ich euch
die Nächstenliebe? Lieber noch Nächsten-furcht und Fernstenliebe."
(NF 1882-1884, S. 177).
84JGB, S. 210.
85Z, S. 238.
86NF 1882-1884, S. 175.
87NF 1884-1885, S. 97.
88NF 1882-1884, S. 28.
89NF 1875-1879, S. 517.
90Z, S. 264.
91HL, S. 308/309.
92Man würde Nietzsche mißverstehen, wenn man behauptete, daß die grundsätzliche
Bejahung des Lebens oder der Existenz jede Verneinung ausschlösse.
Unter der Voraussetzung umgewerteter Werte wäre diese Verneinung
eine solche, die unter der grundsätzlichen Herrschaft der Bejahung
steht: "Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender
Vogel auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe!" (Z, S. 224).
93Z, S. 388/389.
Vgl. dazu: Deleuze, Gilles (1991): Nietzsche und die Philosophie.
94Hamburg, S. 200.
95NF 1884-1885, S. 562.
96NF 1875-1879, S. 358.
97NF 1880-1882, S. 293.
98NF 1869-1874, S. 470.
99NF 1880-1882, S. 585. An anderer Stelle gibt Nietzsche folgende
Erklärung ab: "meine Vorfahren Heraclit Empedocles Spinoza Goethe."
(NF 1884-1885, S. 134).
100GD, S. 100.
101Vgl. dazu: Brömsel, Sven (2001): Vita femina und die stigmatisierte
Religion. In: Berliner Debatte Initial, Heft 5, S. 32; Kofman, Sarah
(2002): Die Verachtung der Juden. Nietzsche, die Juden, der Antisemitismus.
Berlin, S. 57.
102NF 1884-1885, S. 455.
103EH, S. 285.
104FW, S. 630.
105NF 1885-1887, S. 205.
106Zit. nach: Kaufmann, Walter (1988): A. a. O., S. 49.
107Ebenda, S. 50.
108Ebenda, S. 51.
109AC, S. 196/197.
110Vgl. dazu: Waldmann, Peter (2003): Der verborgene Winkel der sterbenden
Götter. Würzburg, S. 56.
111Heine, Heinrich (1968): Ludwig Börne. Eine Denkschrift. In: Ders.:
Werke in vier Bänden. Bd. 4. Frankfurt a. M., S. 350.
112Vgl. dazu: AC, S. 192; Kofman, Sarah (2002): A. a. O., S. 83.
113Wagner, Richard: Brief an Franz Liszt vom 7. Juni 1855. Zit. nach:
Poliakov, Léon (1987): Geschichte des Antisemitismus. Bd. VI. Emanzipation
und Rassenwahn. Worms, S. 115.
114Wagner, Richard (1848): Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage.
Zit. nach: Poliakov, Léon (1987): Geschichte des Antisemitismus.
Bd. VI. Emanzipation und Rassenwahn. Worms, S. 243.
115Ebenda.
116JGB, S. 72.
117Vgl. zu Luther und Hegel als Vordenker des autoritären Staates:
Fromm, Erich (1990): Die Furcht vor der Freiheit. München, S. 52
ff.; Marcuse, Herbert (1970): Studie über Autorität und Familie.
In: Ders.: Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft. Frankfurt
a. M., S. 59-81, 97-112.
118Musil, Robert (1998): Die Schwärmer. Reinbek bei Hamburg, S. 27.
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Siglenverzeichnis
Alle Schriften Nietzsches wurden zitiert aus: Nietzsche,
Friedrich: KSA [= Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden. Hrsg.
v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari]. München 1988.
AC: Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum (1888). In: KSA 6.
EH: Ecce homo. Wie man wird, was man ist (1888-1889). In: KSA 6.
FW: Die fröhliche Wissenschaft. La gaya scienza (1882). In: KSA
3.
GD: Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt (1889).
In: KSA 6.
GM: Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (1887). In: KSA
5
HL: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben (1874).
In: KSA 1.
JGB: Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft
(1886). In: KSA 5.
NF 1869-1874: Nachgelassene Fragmente 1869-1874. KSA 7.
NF 1875-1879: Nachgelassene Fragmente 1875-1879. KSA 8.
NF 1880-1882: Nachgelassene Fragmente 1880-1882. KSA 9.
NF 1882-1884: Nachgelassene Fragmente 1882-1884. KSA 10.
NF 1884-1885: Nachgelassene Fragmente 1884-1885. KSA 11.
NF 1885-1887: Nachgelassene Fragmente 1885-1887. KSA 12.
NF 1887-1889: Nachgelassene Fragmente 1887-1889. KSA 13.
WL: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne (1873). In:
KSA 1.
Z: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen (1883-1885).
KSA 4.
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